Zuständigkeit für Kernkraft muss wieder ins Wirtschaftsministerium
Die Energiefrage #77
Vor wenigen Tagen marschierte Russland in die Ukraine ein. Die Energiemärkte wurden stark durcheinandergewirbelt. Kohle, Öl, Gas und Strom wurden knapp und die Preise stiegen auf bislang unbekannte Höhen. In dieser Situation hatte Bundeswirtschaftsminster Habeck eine „ideologiefreie Prüfung“ einer Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke angekündigt. Im ‚grünen‘ Umweltministerium wurde seine Absicht hintertrieben. Das muss Konsequenzen haben.
Robert Habeck wächst mehr und mehr in sein Amt hinein. Nicht zufällig ist er der einzige ‚Grüne‘ in der Führungsspitze mit Einserabitur, Promotion und einem Berufsleben vor der Politik. Als Russland in der Ukraine einmarschierte und die Energiekrise, die seit dem Sommer des vergangenen Jahres die Öl-, Gas-, Kohle- und Strompreise in die Höhe getrieben hatte, eskalierte, tat er das einzig Richtige: Er bot an, alle Optionen zu prüfen, die geeignet wären, um die Versorgungssicherheit zu verbessern und die Energiekosten zu dämpfen. Gleich nach Ausbruch des Ukraine-Krieges sagte er im ZDF-Morgenmagazin, dass er selbst einen Weiterbetrieb der letzten noch betriebsbereiten Kernkraftwerke „ideologiefrei“ prüfen werde. Er war sich dessen wohl bewusst, dass er damit in einer zentralen Glaubensfrage gegen die Haltung der meisten Parteimitglieder der ‚Grünen‘ handelte.
Was ist daraus geworden? Die zuständigen Ressorts für Energie – das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima BMWK – und für Reaktorsicherheit – das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) – machten sich an eine Prüfung. Am Ende stand ein Prüfvermerk zur Laufzeitverlängerung von drei noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken in Deutschland. Das Ergebnis war, dass nach „einer Abwägung von Nutzen und Risiken […] eine Laufzeitverlängerung der drei noch bestehenden Atomkraftwerke auch angesichts der aktuellen Gaskrise nicht zu empfehlen“ sei. Damit sollte die Diskussion um eine Laufzeitverlängerung nach Aussage ihrer Autoren „beerdigt“ sein.
Dieser Erfolg wurde auch erzielt. Nach einem kurzen Intermezzo des Aufbegehrens äußerten sich die Vorstände der drei Betreiber von Kernkraftwerken, dass sie dem politischen Mandat folgen würden und die Kernkraftwerke programmgemäß abschalten würden.
Hier könnte die Geschichte zu Ende sein. Bei näherer Betrachtung fallen aber am „Prüfvermerk“ des BMUV so viele Ungereimtheiten auf, dass wir glauben, dass die Debatte um die Kernkraft noch gar nicht richtig begonnen hat. Wenn fachlich Verantwortliche Grundbegriffe ihres eigenen Metiers nicht im Ansatz beherrschen, sollten sie ausgetauscht werden. Noch besser wäre, die Verantwortung für Reaktorsicherheit gänzlich aus dem Umweltministerium zu lösen und ins Wirtschaftsministerium zurückzuverlagern. Dann könnte die politische Debatte um eine Laufzeitverlängerung wieder mit der notwendigen Fachkompetenz, die die Politiker gerade jetzt benötigen, geführt werden.
Es ist eine Geschichte zu erzählen, die in Teilen skandalös ist und Konsequenzen erfordert.
Akt 1: Die Frage nach der Machbarkeit
Im letzten Sommer – noch vor der Bundestagswahl – gibt es Anzeichen, dass zumindest bei Union und FDP in der Atomfrage ein Umdenken erkennbar ist. Weil im politischen Berlin das Wissen über Kerntechnik und Atompolitik gegen Null tendiert, recherchieren wir bei den Verantwortlichen in der Industrie und bei den Betreibern, ob eine Laufzeitverlängerung der damals noch sechs Kernkraftwerken überhaupt noch machbar sei. Immer wieder war in der Öffentlichkeit behauptet worden, die Messe sei gelesen, wir wollen es genauer wissen.
Das Ergebnis ist hier nachzulesen und lautet kurzgefasst so: Es sprechen keine betrieblichen, wirtschaftlichen oder gar technischen Gründe gegen einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke. Auch eine genauere Nachfrage auf Arbeitsebene ergab keine anderslautenden Ergebnisse. Brennstäbe müssen zwar ausgetauscht werden, es entstehen dabei aber keine Stillstandszeiten der Kraftwerke. Viele Mitarbeiter haben Frühverrentungsverträge unterzeichnet, würden diese aber zerreißen, wenn sie damit einen Weiterbetrieb ihres Kraftwerks ermöglichen könnten. Technische Nachrüstungen wären nur in begrenztem Maße notwendig, für alle sechs Kraftwerke zusammen schätzt ein Experte die Kosten für Nachrüstmaßnahmen auf „rund eine Milliarde Euro“. Peanuts, das Geld verdient sich in wenigen Wochen wieder herein.
Lediglich die Politik müsse nicht nur mitziehen, sondern ein klares Signal aussenden, dass der weitere Leistungsbetrieb gewünscht sei. Denn der ist laut Atomgesetz verboten, aber auch viele andere gesetzliche Grundlagen seien zu schaffen.
Klare Hausaufgaben für die Politik also. Aber es kommt anders, die SPD gewinnt hauchdünn die Bundestagswahl, und in der Ampel wird der Turbo für die Energiewende beschlossen. Aus Verhandlerkreisen wissen wir, dass es Robert Habeck ist, der sich dafür einsetzt, für die Überbrückung von Dunkelflauten massiv in Gaskraftwerke zu investieren, während die FDP-Spitze entgegen der überwiegenden Haltung ihrer Mitglieder die ‚grünen‘ Positionen zur Energiewende voll übernimmt.
Akt 2: Die Entzauberung der Energiewende
Bereits zu Jahresbeginn 2022 haben sich die Preise für Erdgas, Rohöl, Kohle, Strom und CO2-Emissionszertifikate im Zwölfmonatsvergleich vervielfacht. Die Ursachen dafür sind wetter- und politikbedingt. Fehlender Wind in Europa und fehlender Niederschlag in Brasilien im ersten Halbjahr 2021 hatte die wetterabhängige Stromproduktion aus Wind- und Wasserkraftwerken abgeschwächt, die Energie musste aus Kohle- und Gaskraft kommen, die Nachfrage stieg und damit die Preise. Preistreibend ist auch der deutsche Atomausstieg, der erkennbar die Nachfrage nach fossilen Energierohstoffen steigert, und der Ausfall von vier der 56 Kernkraftwerke in Frankreich im Dezember 2021 ist gleichfalls nicht hilfreich.
Als am 24. Februar Russland in die Ukraine einmarschiert, wird der Koalition vollends klar, dass der Ausbau der Gaskraft für die Stromerzeugung keine tragfähige Idee gewesen ist. Das zusätzliche Gas hätte hauptsächlich aus Russland stammen sollen, dafür hatte die Ampelregierung die Pipeline Nordstream 2 auch gegen starke Anwürfe aus den USA verteidigt. Eine solche Strategie verbietet sich nun. Im Gegensatz muss die deutsche Abhängigkeit von Erdgas (aus Russland kamen im Jahr 2021 55%), Erdöl (34%) und Kohle (45%) reduziert werden. Die wetterabhängigen Stromerzeuger Sonne und Wind werden von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zu „Freiheitsenergien“ hochgejazzt – dies in totaler Verkennung der Lage. Wetterabhängige Stromquellen benötigen immer ein Back-up aus schnell regelbaren Gaskraftwerken. Gerade der starke Ausbau von Solar- und Windenergie haben Deutschland in die starke Abhängigkeit von russischem Erdgas hineingetrieben.
Akt 3: Expertenfreie Prüfung einer Laufzeitverlängerung
Robert Habeck kündigt im Fernsehen an, eine Laufzeitverlängerung entgegen der ‚grünen‘ Parteiseele „ideologiefrei“ zu überprüfen. Die Prüfung übergibt er zuständigkeitshalber dem BMUV. Dieses hält sich mit Prüfungen nicht lange auf. Es lädt die Vorstandsvorsitzenden der drei Betreibergesellschaften ins Ministerium ein. Nach schriftlicher Aussage eines Pressesprechers dort wurde eine Laufzeitverlängerung „zwar kurz thematisiert, aber nicht weiter vertieft […], da klar war, dass ein Weiterbetrieb der KKW seitens der beiden Ministerien nicht in Betracht kam.“
Die abschließende Stellungnahme wird von den Betreibern wegen zahlreicher fachlicher Fehler nicht mit unterzeichnet. Über die Haltung der Betreiber zum Weiterbetrieb wird folgendes behauptet: „Sollte sich der Staat hierfür [für einen 3-5-jährigen Weiterbetrieb] entscheiden, haben die Betreiber der Kernkraftwerke bereits gegenüber BMWK und BMUV mitgeteilt, dass dann die Bundesregierung in eine ‚Quasi-Eigner‘-Rolle kommen solle, mit voller Kontrolle und Verantwortung für Investitionen, Kosten, Erträge sowie Verfahrensumfang und -tiefe auf der sicherheitstechnischen und genehmigungsrechtlichen Seite. In einem solchen Szenario würden die Atomkraftwerke von den Unternehmen quasi im staatlichen Auftrag betrieben.“
Das ist mithin glatt gelogen, ein Weiterbetrieb wäre für die Betreiber hoch attraktiv. Noch schlimmer ist, dass zahlreiche fachliche Fehler die Qualität des „Prüfvermerks“ beeinträchtigen. Wir thematisieren das in einem Rundschreiben an Fachleute der Energiewirtschaft und -forschung, ein pronuklearer Verein greift es in einer Pressemitteilung auf. Selbst die kerntechnische Wirtschaft lanciert über ihren Industrieverband KernD eine Stellungnahme zum BMUV-Papier und stellen die Aussagen richtig. Ein Novum in der sonst so zurückhaltend auftretenden Branche.
Nach verschiedenen Nachfragen erfahren wir, dass weder die für Kernkraft zuständigen Fachleute im Wirtschaftsministerium noch die entsprechenden Gremien im Fachbereich Nukleare Sicherheit – das sind im Wesentlichen die Reaktorsicherheitskommission und die Gesellschaft für Reaktorsicherheit – vor der Veröffentlichung des „Prüfvermerks“ gehört wurden. Das BMUV behauptet, hinreichend eigene Expertise im Haus zu haben.
An einem kleinen Beispiel kann man illustrieren, warum entweder die Experten im BMUV nicht gehört wurden oder die Verantwortlichen keine Experten sind. Im “Prüfvermerk“ wird behauptet, dass die Betriebserlaubnis für die Kernkraftwerke erloschen seien. Tatsächlich ist nur die Genehmigung zum Leistungsbetrieb mit dem Atomgesetz zu bestimmten Fristen erloschen, die Betriebsgenehmigung wird auch zum Rückbau noch benötigt.
Ähnlich inkompetent beurteilen die BMUV-Mitarbeiter neben zahlreichen kleinen Punkten den Energiegehalt von Brennelementen – es herrscht das Bild einer brennenden Kerze vor, die komplett herunterbrennen kann, während Brennelemente noch viele Monate bei nur langsam abnehmender Leistung weiterbetrieben werden können.
Akt 4: Kompetenzverlagerung und Neustart der Laufzeitdiskussion
Wenn die Verantwortlichen in einem Ministerium in ihrem Metier noch nicht einmal die grundlegenden Fachbegriffe kennen, sollten sie von ihren Aufgaben entbunden werden. Gerade in der Atomaufsicht sind Nachlässigkeiten nicht zu dulden. Handlungsbedarf entsteht auch daraus, dass die politische Leitungsebene eines Ministeriums dem eigenen Spitzenkandidaten in den Rücken fällt. Robert Habeck hat eine ideologiefreie Prüfung versprochen, das BMUV hat eine von falschen Anti-Atom-Narrativen geprägte Stellungnahme verfasst, die genau so auch von einschlägigen Nichtregierungsorganisationen (NGO) hätte kommen können.
Inkompetenz in Fachfragen kann bei NGOs ignoriert werden, nicht aber in Ministerien. Daher fordern wir eine Verlagerung der Verantwortung für nukleare Sicherheit vom Umwelt- ins Wirtschaftsministerium, mit neuen und kompetenteren Leuten in der Führungsebene.
Es handelt sich hier nämlich um einen doppelten Skandal: Der Öffentlichkeit wurde Kompetenz vorgetäuscht, die es im BMUV nicht gibt, und der eigene Ministerkollege wurde düpiert. Fatal ist dies deswegen, weil ein Weiterbetrieb von sechs Kernkraftwerken die mit Abstand wirkungsvollste, preisgünstigste und am einfachsten umzusetzende Maßnahme wäre, mit der die Versorgungssicherheit für Strom auf umweltfreundlichem Wege maßgeblich erhöht werden könnte.
Dass es entgegen der Behauptung des BMUV tatsächlich nicht nur um die drei noch stromproduzierenden Kraftwerke Emsland bei Lingen, Neckarwestheim bei Heilbronn und Isar 2 bei München geht, sondern auch um die drei Ende letzten Jahres abgeschalteten Kraftwerke, zeigt umso mehr den Handlungsbedarf. (Bei den Kraftwerken Grohnde und Brokdorf liegt die Rückbaugenehmigung noch nicht vor, in Gundremmingen hat der Rückbau noch kaum begonnen.)
Es kommt nun alleine auf die Politik an. Sie hat es in der Hand, eine sehr effektive energiepolitische Maßnahme zu beschließen für mehr Versorgungssicherheit, Selbstversorgung mit Energie und Umweltfreundlichkeit. Die Betreiber sind willens und in der Lage, einen Weiterbetrieb der sechs Kernkraftwerke umzusetzen und sicher zu gewährleisten, zumindest so lange, bis bessere, preisgünstige und umweltfreundliche Alternativen bereitstehen.
Dass ‚grüne‘ Politiker solche Maßnahmen scheuen, verwundert wenig. Die ‚Grünen‘ sind mit aus der Anti-Atombewegung hervorgegangen. Bei den anderen Parteien ist es anders. Umfragen zeigen, dass die Kernkraft desto beliebter wird, je mehr über sie gesprochen wird. Dieser Umstand sollte Politikern die Angst nehmen, sich für Kernkraft stark zu machen. Mit einer fortschrittlichen Atompolitik Wählerstimmen gewinnen könnte die Union – Markus Söder hat hier wieder Instinkt gezeigt – und die Liberalen. In beiden Parteien überwiegen die Kernkraftbefürworter mit je rund 90% deutlich, während die Gegner keine Rolle spielen.
Jeder von uns sollte daher eigene Kontakte in die Politik nutzen, um für einen Weiterbetrieb der sechs noch betriebsbereiten Kernkraftwerke zu werben, den Politikern die Angst vor dem Thema zu nehmen, die Allgemeinbildung zum Thema Energie zu fördern, Forschung an besseren Energietechnologien zu fördern und die Energiepolitik wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.
21. März 2022