Dr. Björn Peters

Schäden und Möglichkeiten der Energiepolitik

Die Energiefrage #71

Dass die sog. ‚Energiewende‘ uns sehr viel Geld kostet, haben wir an dieser Stelle schon mehrfach vorgerechnet. Dass sie darüber hinaus ein enormes ökologisches und volkswirtschaftliches Schadenspotenzial hat, wird seltener thematisiert. Wir zeigen auf, welche Möglichkeiten uns entstünden, wenn wir bereits seit dreißig Jahren Konzepten des Ökologischen Realismus gefolgt wären.

Im Dezember letzten Jahres veröffentlichte das angesehene National Bureau of Economic Research in Boston eine Studie über die wahren Kosten des deutschen Atomausstiegs. Die Autoren rechnen vor, dass uns bis 2017 der deutsche Atomausstieg jährlich etwa 12 Milliarden US-Dollar kostete. Der Großteil der Kosten entstand durch mehr als 1.000 jährliche, vorzeitige Todesfälle durch die wegen des Atomausstiegs höheren Fallzahlen von Atemwegserkrankungen, und durch gestiegene Börsenpreise für Strom. Die Studie bezieht sich nur auf den Atomausstieg, die deutsche Energiepolitik erzwingt aber noch viele andere kosten- und schadensträchtige Maßnahmen, die Umwelt und Geldbeutel belasten. Der Ansatz des Kostenvergleichs verschiedener Politikansätze ist interessant. Das wollen wir aufgreifen.

Direkte Energiewendekosten von mehreren hundert Milliarden Euro jährlich

Die jährlichen Nettokosten der deutschen Energiepolitik betragen jährlich rund 100 Milliarden Euro. Der größte Einzelposten ist die Mineralölsteuer mit ca. 41 Mrd. Euro im Jahr 2018. Direkt danach kommt die EEG-Umlage. Für das Jahr 2018 veranschlagten die Netzbetreiber für diese insgesamt knapp 26,08 Mrd. Euro zur Umlage auf die Netznutzer, die sich aus einer Vielzahl größerer und kleinerer Einzelposten zusammensetzt.

Hinzu kommen die Netzentgelte, die zu einem Großteil auf die Energiewende zurückzuführen sind (17,7 Mrd. Euro im Jahr 2018). Dazu addiert sich die Stromsteuer mit einem Gesamtaufkommen von 6,6 Mrd. Euro (ca. 0,02 EUR je kWh) im Jahr 2018. Zusammen kostete die Energiewende nur im Stromsektor im Jahr 2018 also 50,4 Mrd. Euro. Zusätzlich wird auf alle Kostenpositionen – Herstellung, Verteilung, staatliche Umlagen und Stromsteuer – noch die Umsatzsteuer hinzuaddiert. Für den Endkunden beträgt der Umsatzsteueranteil allein auf die energiewendebedingt gestiegenen Umlagen und die Stromsteuer – insgesamt ca. 15 Eurocents je Kilowattstunden – ca. 0,03 Euro zusätzlich.

Die direkten Umlagen auf den Strompreis zeigen aber nicht die gesamte Wahrheit auf, es kommen noch drei wesentliche volkswirtschaftliche Kostenpositionen hinzu.

Sämtliche Produkte des Alltags benötigen Energie zu ihrer Herstellung. Steigende Steuern und staatliche Umlagen auf Energie verteuern damit erstens jedes andere Produkt. Rechnet man die Gesamtkosten der Energiepolitik pro Kopf um, ergibt sich ein Betrag von rund 1.200 Euro jährlich bzw. 100 Euro monatlich. Während dieser Betrag für den durchschnittlichen Bürger mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von 3.314 Euro verschmerzbar ist, sollte nicht vergessen werden, dass ein Sechstel der Bevölkerung mit einem Haushaltsnettoeinkommen von unter 1.300 Euro monatlich auskommen muss[1]. Die monatlichen Kosten der Energiewende entziehen dem ärmsten Sechstel der Bevölkerung also über 10 Prozent des verfügbaren Einkommens, gerade dort wo das Geld überwiegend in Konsum fließen muss, und produziert damit eine soziale Schieflage. Über 330.000 Stromkunden können jährlich ihre Stromrechnung nicht bezahlen, so dass sie von Stromlieferungen ausgeschlossen werden[2].

Zweitens entstehen durch die Energiegesetzgebung unmittelbare Regulierungskosten. Immobilienbesitzer benötigen ein Energiegutachten bei Bau und Vermietung, die auf die Mieten umgelegt werden; Kesselhersteller müssen ihre Produkte zertifizieren lassen; alle Betreiber von Großfeuerungsanlagen müssen das 57-seitige Bundesimmissionsschutzgesetz beachten. An vielen Stellen mischt sich der Staat unmittelbar in einzelne Technologien ein durch direkte Vorgaben und Überwachungsvorschriften. All dies kostet Geld, in der Summe in Milliardenhöhe.

Drittens gibt es indirekte Regulierungskosten, beispielsweise durch Dämmvorschriften, die Hausbauer zu Investitionen zwingen, die sie ohne die Regulierung nicht zu tragen bereit wären, da sie sich nicht rechnen, obwohl Energie bereits künstlich verteuert wird und Energiesparen sich dadurch leichter rechnen sollte. Viel teurer wiegt hier die Verunsicherung der Märkte, was an zwei Beispielen besonders augenfällig wird, der Energie- und der Automobilwirtschaft.

Die sich alle paar Jahre deutlich ändernde Regulierung in der Energiewirtschaft erzeugt einen Vertrauensverlust, der sich in großen Wertverlusten niederschlägt. Bis vor dreißig Jahren waren Kernkraftwerke en vogue, dann Gaskraftwerke, bis diese durch Solar- und Windkraftwerke wieder unwirtschaftlich gemacht wurden. Der doppelte Ausstieg aus Kohle- und Kernenergie vernichtet wieder Milliarden an Werten bei den Unternehmen der Energiewirtschaft. Gefahr besteht künftig für die Investoren in Solar- und vor allem Windenergie, die durch eine sich wieder ändernde Energiepolitik oder durch Gerichtsbeschlüsse jederzeit entwertet werden können. Die Abgasregulierung im Kraftfahrzeugsektor hat zu einer tiefen Verunsicherung der Autokäufer geführt, so dass der Automarkt im vergangenen Jahr deutlich zusammengebrochen ist, verbunden mit Insolvenzen, Massenentlassungen und Sonderabschreibungen bei Automobilbauern und Zulieferern. Die Umstellung der industriellen Prozesse auf Anpassungsfähigkeit an ein wetterbedingt schwankendes Energieangebot aus Sonne und Wind wird wiederum hunderte Milliarden Euro kosten. Dies entspricht einer kompletten Umstellung des Produktionsparadigmas, da Industrieprozesse jahrzehntelang auf eine Verstetigung des Ausstoßes an Gütern hin optimiert wurden.

In der Summe wird die deutsche Volkswirtschaft durch die erratische und wenig zielführende Energiepolitik alleine mit einem deutlich dreistelligen Milliardenbetrag belastet – jährlich. Dass sie gleichzeitig weniger dazu beiträgt, den Energieverbrauch und Emissionen an CO2, Schadstoffen und Feinstaub abzusenken als in vergleichbaren Nationen, ist mittlerweile ein offenes Geheimnis. Ein Blick auf die „Electricity Map“-App auf dem Smartphone verrät täglich, dass wir trotz der Milliardenkosten in der Stromproduktion deutlich höhere CO2-Mengen emittieren als beispielsweise Frankreich, das konsequent die Kernenergie ausgebaut hat.

Hinzu kommt die Gefahr, die uns aus der abnehmenden Netzstabilität droht. In unserer hochtechnisierten Welt würde es viele Tage dauern, bis nach einem Stromausfall von einem Tag Dauer die Stromproduktion wieder hochgefahren wäre. Werkzeugmaschinen bestehen heute auch aus vielen Software-Programmen. Stürzen diese bei einer ungeplanten Stromunterbrechung ab, benötigen die Maschinen Tage, bis wieder alle Software aufgespielt würde. Mehrtägige Produktionsausfälle mit Schäden in dreistelliger Milliardenhöhe wären kaum zu vermeiden.

In Summe ist es nicht verwunderlich, dass sich Deutschland außenpolitisch durch eine Energiepolitik isoliert, die den Energieverbrauch gleichzeitig dreckiger, unsicherer und teurer macht.

Ein Gegenmodell im Sinne des Ökologischen Realismus

Um uns vor Augen zu halten, wie weit wir uns bereits auf einem falschen Weg befinden, betrachten wir zum Vergleich eine Situation, in der wir das Rad 30 Jahre zurückdrehen könnten und eine Energiepolitik für Deutschland entwerfen dürften, die konsequent ökologisch und gleichzeitig wirtschaftlich orientiert wäre. Wie sähe diese aus? Und wo lägen die Unterschiede zu heute?

Im Jahr 1989 soll das letzte Kernkraftwerk in Betrieb genommen werden. Hiergegen regt sich Widerstand, die Bundesregierung beschließt, dass die staatlichen Energiekonzerne weiterhin alle ein bis zwei Jahre ein Kraftwerk der Konvoi-Anlagen bauen. Diese heißen so, weil sie zuletzt preisgünstig in Serie gebaut wurden und dabei weltweit einzigartige Qualitätsniveaus erreichten[3]. Sie danken es ihren Betreibern durch störfallfreien Betrieb über Jahrzehnte und enorm hohe Betriebsstunden[4]. Im Jahr 2000, als die Strombörse EEX gegründet wird, liegen die Preise für Grundlaststrom bei etwa 15 Euro je Megawattstunde oder 1,5 Eurocents je Kilowattstunde. Am günstigsten sind Strom aus Braunkohle- und Kernkraftwerken. Auf diesem Preisniveau halten sich die Stromkosten noch für Jahrzehnte.

Das Endlagerproblem bei den abgebrannten Brennstäben wird gelöst. Im Jahr 1999 liegt das finale und positive Gutachten zum Endlager Gorleben vor (tatsächlich wurde die Gutachtenerstellung kurz vor dem positiven Abschlussbericht vom damaligen Bundesumweltminister gestoppt), und gegen zehn Jahre später nimmt Deutschland das nationale Atommüllendlager in Betrieb, allerdings wird es nicht so lange benötigt wie gedacht, wie wir sehen werden.

Zur Mitte des letzten Jahrzehnts erhalten die Erfinder des Dual-Fluid-Reaktors eine Finanzierung für ihre brillante technische Idee aus dem nunmehr privatisierten Energiemarkt, um das vielleicht zukunftsweisendste Konzept für die Energiegewinnung zu realisieren, das es weltweit gibt, und machen sich an die Realisierung. Der Reaktor könnte nicht nur Strom, sondern auch Prozessenergie für die Herstellung von Glas, Metall, viele Chemikalien und sogar synthetischen Kraftstoffen bereitstellen. Verbrennungsmotoren könnten daher noch lange Jahre betrieben werden, ohne Schadstoffe und CO2 auszustoßen, und die deutsche Automobilindustrie ihren größten Vorteil weiterhin ausspielen.

Da der Dual-Fluid-Reaktor seine nukleare Leistung danach regelt, wie viel Energie er erzeugen soll, ist er selbstregulierend und physikalisch sicher. Weil die Menschen keine Angst vor ihm haben müssen, kann er dort errichtet werden, wo die Energie benötigt wird, also auch inmitten von Siedlungen und Industrieanlagen. Zu Anfang der 2020er-Jahre ist ein Prototyp fertig, bis zum Ende des Jahrzehnts wird er in Serie gebaut und versorgt in den folgenden Jahrzehnten die gesamte Volkswirtschaft mit nahezu allen Energieformen, die diese benötigt, und bis 2050 oder wenig danach im Rahmen von natürlichen Investitionszyklen – also ohne staatliche Intervention oder Subventionen – stellen die neuen Reaktoren sämtliche Energie emissionsfrei bereit und helfen damit, die Luftqualität auf unvorstellbare Werte, wie sie zuletzt im frühen Mittelalter bekannt waren, zu verbessern. CO2-Emissionsregulierung wird ignoriert oder abgeschafft, wir wären davon nicht mehr betroffen.

Dadurch, dass der Dual-Fluid-Reaktor den Kernbrennstoff vollständig verbrennt, kann er auch die abgebrannten Brennstäbe der Kernkraftwerke aus früheren Generationen vollständig verbrennen, reicht die in ihnen steckende Energie noch für mehrere Jahrhunderte aus, um alle Art von Energie bereitzustellen, die wir hierzulande benötigen. Das „End“-lager in Gorleben wird also nach und nach aufgelöst oder umgewidmet, und Deutschland ist energetisch für viele Jahrzehnte autark.

Die notwendigen Investitionen für unser Szenario lassen sich recht gut beziffern. Ein Kernkraftwerk mit Leichtwasser-Reaktoren kostet durch die weiter beschrittene Lernkurve etwa drei bis vier Milliarden Euro. Von diesen benötigen wir insgesamt etwa zwischen 80 und 100 Anlagen, von denen etwa ein Drittel in den 1980er-Jahren bereits errichtet war. Die Entwicklung des Dual-Fluid-Reaktors wird etwa 15 – 20 Milliarden Euro bis zur Aufnahme der Serienproduktion kosten, danach etwa je ein bis zwei Milliarden je Großkraftwerk. Der Brennstoffkreislauf ist beim Dual-Fluid-Reaktor nochmals wesentlich preisgünstiger zu haben als in der Welt der Leichtwasser-Reaktoren. Der Import von Energierohstoffen, derzeit jährlich ca. 50 – 100 Milliarden Euro jährlich, läuft nach und nach aus. Dadurch betragen die jährlichen Energiekosten im Land nach 2050 nur noch etwa 20 – 30 Milliarden Euro, ein Zehntel der ‚Energiewende‘-Kosten und nur ein halbes Prozent des Bruttosozialprodukts.

Die erstklassige Kraftwerksindustrie bleibt im Land, wir versorgen die Welt weiterhin mit hervorragend konstruierten Energiequellen, und hunderttausende an hochqualifizierten Menschen finden dort Arbeit. Den Kohleausstieg bewältigen wir bis zum Jahr 2019, Kohle zu verbrennen ist durch eine moderate CO2-Bepreisung wie in Großbritannien schlicht unrentabel geworden. Gas verwenden wir in der ersten Jahrhunderthälfte noch nur für die Heizung, danach wird das Gasnetz später mit aus Kernenergie synthetisch erzeugten Gasen gefüllt. Der Verbrauch an Benzin und Diesel geht über die Jahre immer weiter zurück und zur Mitte des Jahrhunderts werden beide überflüssig.

Weitere wirtschaftliche Impulse entstehen. Weil wir gleichzeitig eine saubere, preiswerte und zuverlässige Energieversorgung haben, wird der Energieverbrauch nicht weiter reguliert und besteuert, auch, um für Deutschland einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern zu ermöglichen, die weiterhin auf fossile oder mittelalterliche Energietechniken aus Sonne, Wind und Wasser setzen. Die sehr preiswerte Energie hierzulande führt zu heute ungeahnten Innovationen in einer Vielzahl von Branchen, an die heute noch niemand denkt. Deutschland ist Vorreiter in der Energiepolitik, und viele Delegationen aus aller Welt pilgern hierher, um unser Wirtschaftswunderland aus der Nähe betrachten zu können.

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Schade, dass sich die Zeit nicht zurückdrehen lässt. Ob wir die Kraft finden, wenigstens heute die richtigen Konzepte zu finanzieren und politisch durchzusetzen?


[1] Statistisches Bundesamt, Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen, Auszug aus dem Datenreport 2018

[2] Monitoringbericht 2018, Bundeskartellamt, Abschn. 1.6.2

[3] Vgl. dazu auch „Die Wirtschaftlichkeitsfrage“, Energiefrage Nr. 62

[4] Nach der PRIS-Datenbank der IAEA, die von allen Kernkraftwerken weltweit die wesentlichen Betriebsdaten enthält, erreichten die meisten deutsche Kernkraftwerke international Spitzenwerte in Bezug auf Betriebssicherheit und Jahresproduktion.

5. Februar 2020

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