Ralph Thiele

Der Weltraum boomt

... Mondfieber

Es wird eng im erdnahen Weltraum. Grund dafür ist nicht nur der drastisch zunehmende Weltraummüll. Der Hype um New Space dürfte dazu beitragen. Großkonzerne, Mittelständler und Start-ups ringen um ihren Anteil an der stark wachsenden privaten Raumfahrtindustrie.

Der Zugang zum All wird immer vielfältiger und preiswerter. Satelliten werden zu massenproduzierten Systemen. In den kommenden Jahren erwarten wir viele hunderte neue Satelliten für kommerzielle, industrielle, militärische und sicherheitsrelevante Zwecke, darunter Nanosatelliten mit niedriger Umlaufbahn für Navigation und Kommunikation, Überwachung und Aufklärung, nachrichtendienstlichen Aufgaben und zur Frühwarnung vor Raketenangriffen.

Bislang bedeutete Weltrauminnovation vor allem die Skalierung von Technologien der Apollo-Zeit in immer größere, langlebigere Satelliten, die über ihren terrestrischen Kunden im Orbit geparkt werden. Multi-Milliarden-Dollar-Systeme hatten eine Lebensdauer von vierzig Jahren oder mehr. Die milliardenschweren Raumfahrtbehörden einiger weniger Länder verteilten das All unter sich, allen voran die USA und die Sowjetunion, später Russland und natürlich auch China.

Inzwischen hat ein neues Weltraum-Zeitalter begonnen. Heute sind nicht nur mehr Länder aktiv, sondern auch Privatpersonen wie die Milliardäre Elon Musk, Jeff Bezos und Richard Branson. Immer mehr Unternehmen hoffen, im und mit dem Weltraum Geld zu verdienen. Auf Grundlage sinkender Technologiekosten entwickeln sich Satelliten zu einem lukrativen Geschäftsmodell.

Seit die aufstrebende Raumfahrtmacht China im Januar erstmals in der Geschichte eine Sonde auf dem erdabgewandten Teil des Mondes abgesetzt hat, herrscht zudem Mondfieber. Zahlreiche Nationen und Unternehmen wollen zum Mond, darunter auch das Berliner Start-up PTScientists, das künftig regelmäßige Transporte zum Mond anbieten und ein LTE-Funknetzwerk auf dem Trabanten aufbauen will. Nicht zuletzt ist auch Bundeswirtschaftsminister Altmaier auf den Weltraumzug aufgesprungen und will die Idee eines Weltraumbahnhofs für Deutschland prüfen.

Im Jahr 2018 gab es weltweit 114 staatliche und private Weltraumstarts. Das erste Mal seit drei Jahrzehnten, lag die Zahl der Starts bei über 100. Die Vereinigten Staaten hatten 31 Starts - darunter einer Rekordzahl von kommerziellen Starts - und China 39. Gleichzeitig boomt der Weltraum auch für militärische Anwendungen. Moderne Streitkräfte verwenden weltraumgestützte Systeme zum Aufbau von vermaschten Ad-Hoc-Netzwerken, um ihren Einsatz und Datenaustausch auch in entlegenen Einsatzgebieten zu ermöglichen. Mobile Kommunikationsgeräte tauschen Informationen aus, übersetzen Sprachen, sichern akkurate Navigation und übermitteln Positionsdaten der eigenen Truppe, während sie gleichzeitig Verbindung mit weit entfernten Kräften und Führungsorganisationen halten.

Vor diesem Hintergrund haben sich mehr als 80 Länder der globalen Raumfahrtindustrie angeschlossen. Sie haben erkannt, dass die Raumfahrt eine strategische Industrie ist. Sie ermöglicht das Funktionieren von globaler Telekommunikation, Mobilität, Energie, Handel und Finanznetzen, sogar verbesserten Klimaschutz. Sie schafft hochtechnisierte Arbeitskräfte und Spin-off-Technologien und fördert Wirtschaftswachstum.

.... im Goldrausch

Kommerzielle Raumfahrtunternehmen dislozieren Hunderte von kleinen, billigen Satelliten im erdnahen Weltraum und haben eine Art Goldrausch ausgelöst, besonders in den USA und China. Unternehmen wie SpaceX und Blue Origin bauen preiswerte, wiederverwendbare Raketen. Diese können mit jedem Start bis zu 100 neue Satelliten ins All befördern. Fünfundsiebzig Prozent des Umsatzes der Raumfahrtindustrie sind heute bereits kommerziell. Große Unternehmen, KMUs und Start-ups nutzen den Weltraum für neue Geschäftsmodelle und bieten neuartige Dienstleistungen an. Der massive Anstieg der Satellitenkapazität erweitert die Möglichkeiten, wie Satellitenbetreiber ihre Kapazität an Endverbraucher verkaufen können. Ob Cloud-Netzwerke, flexible Kapazitäten, dynamisch umschaltende Bodenstationen etc., Satellitenbetreiber und die daraus resultierende Wertschöpfungskette entwickeln schnell neue Technologien, um für einen boomenden Markt attraktiv zu werden.

Die Satellitenkommunikation hat seit den 1980er Jahren den Großteil des kommerziellen Wachstums angetrieben. GEO[1] SatCom-Betreiber haben inzwischen neue Satellitendesigns, Flottenarchitekturen und Möglichkeiten der Kundenansprache entwickelt, die eine weitaus größere Flexibilität und Reaktionsfähigkeit auf Systemebene ermöglichen. Digitalfähige Satelliten für die mittlere und niedrige Erdumlaufbahn sind Schlüsselelemente dieser Transformation, und sorgen für signifikant verbesserte Leistungsdaten gegenüber hergebrachten geostationären Satelliten. Die Kombination von LEO-[2], MEO-[3] und GEO-Fähigkeiten sorgt für enorme synergetische Effekte. Da nun weitaus mehr Mbit/s[4] verkauft werden und der Schwerpunkt verstärkt auf hohen Volumina und niedrigen Margen liegt, wird die Steigerung der Netzwerkeffizienz zum Margenmotor der Branche.

Die Integration von Satelliten in 5G-Netze ist ein noch wenig beachteter, aber entscheidender Faktor, da sich die Welt auf diesen neuen drahtlosen Standard umstellt. Satelliten können und werden einen wesentlichen Beitrag zu innovativen Geschäftsmodellen in 5G leisten. Sie spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, 5G-Netzwerke dabei zu unterstützen, deren Latenzanforderungen im Sub-1ms-Bereich zu erfüllen, indem sie gemeinsam genutzte Inhalte an mobile Basisstationen liefern. Sie unterstützen SCADA und andere globale Asset-Tracking-Anwendungen bereits heute und können skaliert werden, um die zukünftige Machine-to-Machine-Kommunikation (Internet-of-Things) zu unterstützen. Neue Anwendungen in den Bereichen Verkehr, Medien und Unterhaltung, Energie, Agrarwirtschaft, Gesundheit und Zukunftsfabriken, öffentliche Sicherheit, Sicherheit und Verteidigung sind in Vorbereitung.

Diese Entwicklung kommt zu einer Zeit, in der Industrie 4.0 die Zusammenarbeit, Produktion und Dienstleistungen sowie die Grundlagen eines erfolgreichen Wettbewerbs revolutioniert. Sie bildet den Rahmen, in dem Computer und Automatisierung auf neue Weise zusammenkommen, mit ferngesteuerter Robotik, gesteuert von Computern mit Künstlicher Intelligenz. Da die Digitalisierung von Industrie und Wirtschaft das Wachstum fördert, profitiert die Raumfahrtindustrie von fortschrittlichen Fähigkeiten, Geschäftsmodellen und Dienstleistungen. Zeitgleich nabelt sich der Weltraumbetrieb Schritt für Schritt von der Erde ab. Schon bald kann man Raumfahrzeuge im Flug betanken, Satelliten im Weltraum bauen und warten, Daten im Orbit verarbeiten und dafür erforderliche Ressourcen und Energie im Weltraum gewinnen.

Disruptive Technologien, die autonom, konfigurierbar, agil und anpassungsfähig sind, geben hierfür die Richtung vor. Dazu gehören:

• Echtzeit und Weltraumlagebild;

• automatisierte Cyberforensik und Analytik;

• autonome und automatisierte Raumfahrtsysteme;

• digitale Strahlformung, die in der Lage ist, die SAT-Footprints entsprechend den Anforderungen der Missionen bedarfsgerecht, neu zu konfigurieren;

• On-Board-Elastizität und selbstreparierende Satelliten;

• neue Konzepte im Bodenbetrieb, d.h. verbesserte prädiktive Technologien oder dynamische Verschlüsselung und Signalübertragung, die sich beispielsweise nach den Anforderungen der jeweiligen Mission richten;

• künstliche Intelligenz;

• vorausschauende und automatisierte Bedrohungsanalyse sowie eine erweiterte Datenanalyse;

• erweiterte Quantenfähigkeiten in den Bereichen Computer und Kryptographie.

In jüngerer Vergangenheit hat man auch in der deutschen Regierung gemerkt, dass der Weltraum boomt und setzt nun zu einer zaghaften Aufholjagd ein. Die deutsche Regierung unterstützt New Space insbesondere bei neuartigen Startlafetten, einer robotischen Mission zum Mond und einem Programm zum Schutz der Erde vor Asteroiden.[5] Der Raumfahrtmittelstands soll besser als bisher gestärkt werden. Dazu wurde das Budget für KMUs[6] um 150 Prozent gesteigert. Deutschland zeigt mit fast 3,3 Milliarden Euro für die nächsten Jahre das mit Abstand größte Engagement aller ESA-Mitgliedstaaten und dennoch hat die Marktvorbereitung beispielsweise in Großbritannien deutlich mehr Schwung. Deutschland bleibt ein halbherziger Investor in Zukunftstechnologien.

... kein Zaun im Raum

Ernsthafte Bedrohungen der Weltrauminfrastruktur sind ein relativ neues Phänomen. Lange Zeit war der Weltraum ein eigenes Ökosystem. Jetzt erkennt man, die Distanz zur Erde bietet keinen Schutz mehr. Es gibt keinen Zaun im Weltraum. Die französische Verteidigungsministerin Florence Parly berichtete kürzlich: "...wir wissen sehr wohl, dass ... große Weltraumnationen faszinierende Objekte in den Orbit bringen ..., die wenig Zweifel an deren aggressiver Bestimmung lassen."

Das Spektrum der möglichen Bedrohungen ist beeindruckend:

• Cyber-Akteure können offensive Fähigkeiten nutzen, um Raumfahrtsysteme, zugehörige Bodeninfrastruktur, Benutzer und verbindende Netzwerke anzugreifen.

• Direkte Energiewaffen wie Laser, Hochleistungs-Mikrowellen und andere Hochfrequenzwaffen wirken unmittelbar auf ihre Angriffsziele im All. Es kann ggf. schwierig sein, den Ursprung eines derartigen Angriffs zu bestimmen.

• Elektronische Kriegsführung wirkt mittels Jamming- und Spoofing-Techniken auf Raumfahrtinfrastruktur und Satelliten.

• Antisatellitenraketen zerstören ggf. Satelliten, ohne dass sie im All stationiert sein müssen.

• Weltraumgestützte Systeme wirken aus dem All mit temporären oder dauerhaften Effekten auf andere Raumfahrzeuge. Einige dieser Systeme, z.B. die Robotertechnik für die Wartung und Reparatur von Satelliten und die Entfernung von Ablagerungen, sind friedlich einsetzbar, können aber zugleich auch aggressiv für militärische Zwecke eingesetzt werden.

• Insbesondere Dual-Use Rauminfrastruktur ist ein attraktives Ziel, denn sie dient nicht nur der zivilen und kommerziellen Kommunikation, sondern unterstützt auch militärische Kommunikations- und Führungsfähigkeiten.

Im August 2019 kündigte die französische Verteidigungsministerin Florence Parly an, bis 2030 ein aktives Verteidigungssystem für die französischen Weltraumressourcen und -infrastrukturen zu entwickeln und einzusetzen. Sie erfolgte unmittelbar nach der Ankündigung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron über ein neues "Space Command". Zusammen geben diese Ankündigungen einen tiefen Einblick in die Qualität des Wettbewerbs im Weltraum. Je mehr Systeme zur Satellitenbekämpfung von Staaten wie China, Indien, Russland etc. bereitgestellt werden, um so dringlicher werden neue Konzepte und Fähigkeiten, um die Resilienz eigener weltraumgestützter Systeme zu gewährleisten.

... Weltraumsicherheit

Viel ist und bleibt zu tun für die Erhaltung des Weltraums als frei zugängliche, sichere und nutzbringende Domäne für friedliche Aktivitäten. Die Raumfahrtpolitik der Europäischen Union zielt darauf ab, Herausforderungen wie die Bekämpfung des Klimawandels, die Förderung der technologischen Innovation und die Bereitstellung sozioökonomischer Vorteile für die Bürger anzugehen. Standen in der Vergangenheit die drei Weltraum-Flaggschiffprogramme

• Kopernikus - ein führender Anbieter von Erdbeobachtungsdaten.

• Galileo - Europas globales Satellitennavigationssystem.

• Egnos - der europäische geostationäre Navigationsüberlagerungsdienst.

im Vordergrund der europäischen Raumfahrtaktivitäten, so hat sich der Schwerpunkt nun auf die Sicherstellung einer starken Marktakzeptanz von Weltraumdaten und -dienstleistungen durch den öffentlichen und privaten Sektor verlagert. Damit will man die Effizienz in Landwirtschaft und Fischerei steigern, den Regionen den Zugang zu Wissen und Informationen erleichtern, die Krisenreaktion verbessern, die Umwelt schützen, den Klimawandel bekämpfen und darüber hinaus zur Aufdeckung illegaler Einwanderung, zur Verhinderung grenzüberschreitender organisierter Kriminalität und zur Bekämpfung der Piraterie auf See beitragen.

Diese Programme stehen in Verbindung mit anderen Initiativen der Europäischen Kommission, z.B. zu kritischen Infrastrukturen und Technologien, Cybersicherheit oder Quantentechnologien. Die Übertragung der anstehenden hybriden und disruptiven technologischen Herausforderungen in eine tragfähige Sicherheits-/Verteidigungsfähigkeit, die sich auch auf den europäischen und globalen Märkten auszahlt, ist der Kern der anstehenden Sicherheitsherausforderung. Diesen Ansatz unterstützt auch die NATO. Sie hat erkannt, dass sie beitragen muss, „... zivilgesellschaftliche, wirtschaftliche und militärische Interessen im Weltraum zu schützen ...“, so NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg Ende 2019.

Der ungehinderte Zugang zum Weltraum, dessen friedliche Nutzung und die Freiheit, im Weltraum zu operieren, sind für die Menschheit von entscheidender Bedeutung – wirtschaftlich und auch sicherheitspolitisch. Da es nur wenige verteilte technologische Systeme gibt, die nicht auf Satelliten für einen wesentlichen Teil ihrer Funktionalität angewiesen sind, kann die Bedeutung von Weltraumressourcen und die Wahrung der Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit der Informationen, die sie übertragen, nicht hoch genug eingeschätzt werden.


[1] GEO - Geostationary Orbit

[2] LEO - Low Earth Orbit

[3] MEO - Medium Earth Orbit

[4] Mbit/s - Megabits pro Sekunde

[5] BMWi. Deutschland sorgt für die Zukunft der europäischen Raumfahrt. 28.11.2019. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2019/20191128-deutschland-sorgt-fuer-die-zukunft-der-europaeischen-raumfahrt.html

[6] KMU - Kleine und mittelständische Unternehmen

10. 12 2019

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