Dr. Björn Peters

Wasserstoff, Energieträger der Zukunft. Oder?

Die Energiefrage #68

In den letzten Wochen war häufig zu lesen, dass mit Wasserstoff als „alternativer“ Energieträger die Energiewende noch gerettet werden könne. Ist das wirklich so oder begehen wir wieder den gleichen Fehler wie bei der Energiewende: Dass ein ganzes politisches Konzept gestartet und umgesetzt wird, bevor sich mit den naturgesetzlichen Voraussetzungen dafür beschäftigt wurde? Wir rechnen nach.

Fossile Rohstoffe sind derzeit unersetzlich. In flüssiger Form als Benzin, Diesel, Flüssiggas oder Kerosin liefern sie je Kilogramm über zehn Kilowattstunden und benötigen dafür nur etwas mehr als einen Liter an Platz. Dennoch soll ihre Nutzung überwunden werden, sind sie doch mit schädlichen Emissionen verbunden. Ist der Anspruch also grundsätzlich nachvollziehbar, werden nun dieselben Fehler wiederholt wie bei der Energiewende. Es soll nun versucht werden, diese mit dem Energieträger „grüner“ Wasserstoff aus Solar- und Windenergie zu retten. Und täglich grüßt das Murmeltier, denn Wasserstoff ist aus physikalischen Gründen so wenig als Energieträger geeignet, wie Sonne und Wind für eine zuverlässige, preisgünstige und umweltfreundliche Stromerzeugung taugen. Denn die Energiebilanz solcher Konzepte ist verheerend.

Einer der Physiker, der die gesamte Wertschöpfungskette in der Wasserstoffproduktion und -nutzung durchgerechnet hat, ist Ulf Bossel („Wasserstoff löst keine Energieprobleme“, Leibniz-Institut, 2010). Bossel ist einer der Erfinder der „Energiewende“ und hat sein berufliches Leben damit zugebracht, Konzepte für ihre erfolgreiche Umsetzung zu entwickeln. Was an seinen Ausführungen zur Wasserstoff-Wirtschaft überzeugt, ist die Berücksichtigung aller Zwischenstufen zwischen Stromerzeugung und Tank. Das ist eine ehrliche Rechnung, die von anderen Forschern oft übersehen wird. Daher finden sich viele Publikationen und Aussagen, die beispielsweise auf den Elektrolyse-Wirkungsgrad abheben, aber die weitere Prozesskette unberücksichtigt lassen.

Das Konzept zukünftiger Mobilität wird von vielen Autoren so beschrieben: Wasserstoff könnte mit Solarenergie bei uns oder in südlichen Breiten erzeugt werden, müsste dann komprimiert werden, in Pipelines nach Mitteleuropa transportiert werden, dort zu den Tankstellen verbracht werden, wo er in die Tanks der Wasserstoff-Fahrzeuge umgefüllt würde. Bei jedem dieser Schritte geht Energie verloren, was durch den jeweiligen Wirkungsgrad ausgedrückt wird. In der Summe müssen die Wirkungsgrade der einzelnen Prozessschritte am Ende multipliziert werden. Wieviel Energie bleibt und nun am Ende der Prozesskette übrig?

• Bei der Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff (Elektrolyse) gehen je nach Anlage und praktischen Einsatzbedingungen 20-50 Prozent der eingesetzten elektrischen Energie verloren und der Rest wird in Prozesswärme umgewandelt. Bossel rechnet im Mittel mit 43% Energieverlust, der Wirkungsgrad hierfür ist also 57%. Der Wert ist auch deswegen viel niedriger als die technisch erzielbaren Spitzenwerte im Wirkungsgrad, weil die Anlagen ja nur dann produzieren, wenn die Sonne scheint und mithin häufig in Teillast laufen, also fern des optimalen Betriebspunktes. Auch sind bei großtechnischen Anlagen erhebliche Anstrengungen für die Kühlung zu leisten, die den Wirkungsgrad reduzieren. Durch technische Entwicklungen wurde die Elektrolyse in Hochdruck- und Hochtemperaturverfahren seither effizienter.
• Die Elektrolyse erzeugt Wasserstoff bei normalem Atmosphärendruck, er kann aber nur bei einigen hundert Atmosphären transportiert werden. Den Energieverlust für die Kompression auf 200 bar gibt Bossel mit 7% an, der Wirkungsgrad für diese Umwandlung beträgt also 93%.
• Der Transport vom südlichen Mittelmeer über Pipelines, also im Mittel über 2.000 km, in die industriellen Zentren Mitteleuropas kostet laut Bossel etwa 15% der Energie des Wasserstoffs, übrig bleiben also ca. 85%.
• Für den Straßentransport von den Endstellen der Pipelines zu den Tankstellen darf man wohl im Mittel 200km Entfernung annehmen, was laut Bossel weitere 13% der im Wasserstoff gespeicherten Energie kostet. Der „Transportwirkungsgrad“ auf der Straße ist also 87%. Dass es nicht mehr ist, liegt an der extrem geringen Dichte von gasförmigem Wasserstoff. In einen handelsüblichen Sattelschlepper mit 200 bar-Drucktank von ca. 20 Kubikmeter passen nach Angaben der NRW-Energieagentur nur 500 kg Wasserstoff, bei modernen (und teuren) Drucktanks, die 500 bar zulassen, werden daraus bis zu 1.100 kg. Der Energiegehalt der Fracht ist dann um einen Faktor 6 – 12 niedriger als bei einem voll beladenen Sattelschlepper mit ca. 18 Tonnen Diesel!
• Das Verfüllen in einen Tank mit noch höherem Druck kostet wieder Energie, Bossel geht von 4% aus. Verbleiben 96%. Dies erscheint wenig, müssen Wasserstofftankstellen, die bei 350 bar arbeiten, doch gekühlt werden, um die bei der Kompression auf 700 bar der Tanks von Wasserstoff-PKWs die dabei entstehende Wärme auszugleichen.

Im Zwischenstand verbleibt von der ursprünglich eingesetzten elektrischen Energie 57% x 93% x 85% x 87% x 96%, also 38% im Tank. Den Wirkungsgrad von Brennstoffzellen gibt Bossel mit 50% an, für Mobilität können also ca. 19% genutzt werden. Ähnliche Werte ergeben sich, wenn nach der Elektrolyse der Wasserstoff verflüssigt würde. Dies kostet zunächst mehr Energie (ca. 28%), der Transport ist dafür etwas günstiger, die Lagerung bei wenigen Grad Kelvin über dem absoluten Temperatur-Nullpunkt ist dafür wieder energetisch aufwändiger.

Auch die Tankreichweite in einem Elektroauto spricht gegen Wasserstoff als Energieträger. Der Wasserstoff-Toyota Mirai kann mit einem Tankvolumen von riesigen 240 Litern bei 700 bar gerade mal 5 Kilogramm Wasserstoff speichern. Der Energiegehalt entspricht etwa 20 Litern Dieselkraftstoff, was im Praxistest für etwa 300 km Reichweite ausreicht.

Auf der Kostenseite haben die niedrigen Gesamtwirkungsgrade gravierende Folgen. Selbst wenn Solarstrom für 1,8 Cents je Kilowattstunde produziert werden könnte, wie es ein Fraunhofer-Institut für das Jahr 2050 erwartet, bedeutet ein Gesamtwirkungsgrad von 19%, dass bereits die eingesetzte Energie 1,8 c/kWh / 19% = 9,5 c/kWh kosten wird, also das Zwei- bis Dreifache heutiger Stromgestehungskosten. Hinzu kommen die Kosten für alle anderen Prozessschritte und den Transport. Insgesamt wäre die so gewonnene Energie also um ein Vielfaches teurer als die heutige.

Zuletzt: Es wird ja davon fabuliert, „überschüssigen“ Strom aus Solar- und Windstromanlagen in Wasserstoff umzuwandeln. Da es ein Zuviel an Wind- und Solarstrom nur an wenigen Stunden des Jahres gibt, müssten die Elektrolyseure also für den Betrieb an diesen wenigen Stunden ausgelegt sein. Dies ist teuer und ineffizient.

Wie man es dreht und wendet, die Wasserstoff-Wirtschaft wird nach heutigem Stand am schlechten Wirkungsgrad und den damit verbundenen hohen Kosten scheitern. Es liegt also noch viel Arbeit bei den Forschern, um die Wirkungsgrade der einzelnen Prozessschritte zu optimieren. Das wird nicht einfach, wird daran doch schon seit dem Beginn des letzten Jahrhunderts intensiv geforscht. Wir sollten mit technologischen Durchbrüchen daher nicht vor der Mitte unseres Jahrhunderts rechnen.

Als Strategie für die heutige Energiepolitik taugt „grüner“ Wasserstoff nicht. Wir werden damit nur ein weiteres Milliardengrab schaufeln. Anders sähe es aus mit „weißem“ Wasserstoff, wenn dieser also aus Hochtemperatur-Kernkraftwerken direkt hergestellt werden könnte. Doch dafür sind wir wohl noch nicht weit genug.

15. November 2019

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