Alexander Fritsch

Hans-Georg Maaßen beim Deutschen Arbeitgeber-Verband

Stehende Ovationen für den Rechtsstaat

Deutschlands bekanntester Ex-Beamter erklärt, wie eine bürokratische Politik und totalitäre Ideologien die Soziale Marktwirtschaft ruinieren: Hans-Georg Maaßen über Zuwanderung, Meinungsfreiheit – und Laufenten.

Von Alexander Fritsch

„Ich widerrufe nicht.“
(Hans-Georg Maaßen)

„Festnahmen und Hausdurchsuchungen: Offenbacher IS-Anhänger sollen Anschlag geplant haben“, meldet die „Hessenschau“ am 12. November. Nach einem großen Polizeieinsatz wirft die Staatsanwaltschaft drei Männern vor, einen Terrorakt im Rhein-Main-Gebiet vorbereitet zu haben. Die drei Verdächtigen – zwei Türken und ein gebürtiger Mazedonier – sind offenbar Anhänger des sogenannten „Islamischen Staats“ IS.

Offenbach ist keine 50 Kilometer von Mainz entfernt. Da hält am selben Abend im spektakulären Auto-Museum „Startimer“ der ehemalige Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes einen Vortrag. Was das mit der vereitelten Gewalttat von Offenbach zu tun hat? Nichts – und alles: Als Thema ist angekündigt "Der Rechtsstaat als Basis der Sozialen Marktwirtschaft".

Es soll ein denkwürdiger Abend werden.

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So richtig bekannt wurde Hans-Georg Maaßen eigentlich durch seine Entlassung.

2018 ist er Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, als in Chemnitz ein Mann von Asylbewerbern erstochen wird. Gegen die Gewalttat gibt es Massenproteste in der sächsischen Stadt. In den sogenannten Sozialen Medien taucht ein Video auf, das scheinbar zeigt, wie ein Deutscher einen Asylbewerber verfolgt.

Das Video verbreitet sich schnell, obwohl seine Herkunft ungeklärt und die ganze Bildsequenz gerade einmal 19 Sekunden lang ist. Erst linke Aktivisten, dann linke Politiker zeigen sich empört. Dann schaltet sich auch die Bundeskanzlerin über ihren Sprecher ein und spricht von „Hetzjagden“ (im Plural). Damit ist quasi regierungsamtlich, dass in Chemnitz ein „rechter Mob“ Ausländer durch die Straßen „gejagt“ habe. Die neue Erzählung verschiebt, womöglich kein unwillkommener Effekt, die öffentliche Aufmerksamkeit: weg von der ursprünglichen tödlichen Gewalttat eines Asylbewerbers, hin zur vermeintlichen Ausländerfeindlichkeit der Chemnitzer.

Das Problem an der Erzählung ist: Sie stimmt nicht.

Ein Spitzenbeamter macht in einem Zeitungsinterview auf die dubiose Herkunft des Kurz-Videos aufmerksam. Außerdem, erklärt er, gebe es keinerlei Belege dafür, dass irgendwelche „Hetzjagden“ in Chemnitz (oder sonstwo) stattgefunden hätten. Der Beamte ist nicht irgendwer: Es ist der Chef des deutschen Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen.

Die Bundeskanzlerin ist wenig amüsiert. Mithilfe verbündeter Politiker und ergebener Journalisten eröffnet sie einen Generalangriff auf Maaßen. Eine Hetzjagd in Chemnitz hatte es zwar nicht gegeben, dafür gibt es jetzt eine Hexenjagd auf den Spitzenbeamten. Am Ende knickt Maaßens Vorgesetzter erwartbar ein: Bundesinnenminister Seehofer, ohnehin nicht für ein übermäßig stabiles Rückgrat bekannt, versetzt den 56-jährigen gebürtigen Rheinländer und promovierten Juristen in den Einstweiligen Ruhestand.

Später wird sich zeigen: Das Video wurde von einer polizeibekannten linksradikalen Zelle ins Netz gestellt. Was es nicht zeigt: dass Asylbewerber zunächst eine Gruppe Deutscher anpöbeln, beleidigen und provozieren. Erst daraufhin läuft ein (!) Deutscher einem (!!) Pöbler für etwa 15 (!!!) Meter hinterher. Ende der Geschichte. Wie die linksradikale Zelle an das Video aus dem Smartphone einer Deutschen gelangte, bleibt ungeklärt. Diebstahl darf vermutet werden.

Aus 19 gestohlenen Sekunden – die den Gesamtvorfall völlig verfälschen – wird die Bundeskanzlerin mittels ihres Sprechers später dann „Hetzjagden“ (Plural) machen.

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Im Prinzip wurde Maaßen also gefeuert, weil er Angela Merkel beim Lügen erwischte.

Zwischenfrage: Ist das öffentliche Erfinden einer ausländerfeindlichen Straftat eigentlich Volksverhetzung? Verträgt sich das mit dem Amtseid einer Bundeskanzlerin?

Sei’s drum, für Maaßen gibt es wichtigere Probleme. Zuvorderst: die Zuwanderung. Seit 2012 hat Deutschland mehr als zwei Millionen (in Zahlen: 2.000.000) Flüchtlinge aufgenommen. Dabei handelt es sich überwiegend um Männer aus dem arabischen Raum. Die meisten von ihnen machen Familiennachzug geltend und holen noch mehrere Verwandte ins Land.

Zuwanderung hat immer Auswirkungen auf die Sicherheit – immer, zwangsläufig. Wenn zwei Millionen Menschen ins Land kommen, kommt auch die entsprechende, statistisch normale Kriminalität mit. Völlig unabhängig davon, wer diese zwei Millionen sind: Es sind unabwendbar auch Gewalttäter und Kriminelle darunter. (Die Kriminalstatistik zeigt allerdings, dass der Anteil an Gewalttätern und Kriminellen bei Flüchtlingen ziemlich deutlich höher ist als in der deutschen Durchschnittsbevölkerung, aber das ist ein eigenes Thema.) Allein schon deshalb hat Zuwanderung immer auch mit Sicherheit zu tun.

Am Tag von Maaßens Vortrag gibt es diese Meldung aus dem Polizeipräsidium Ulm: „Junge Männer sollen sich an Jugendlicher vergangen haben. Am vorletzten Freitag soll eine 14-Jährige in einer Gemeinde im südlichen Alb-Donau-Kreis Opfer eines Sexualdelikts geworden sein. (…) Die 14 bis 26 Jahre alten verdächtigen Asylbewerber wurden festgenommen.“

Die Überschrift hätte auch lauten können: Gruppenvergewaltigung eines Mädchens durch fünf Flüchtlinge. Klingt natürlich irgendwie noch unschöner, wäre aber die Wahrheit. Nur ist uns die Wahrheit inzwischen ganz offensichtlich so unangenehm, dass wir sie ungeschminkt nicht mehr ertragen.

Ohne Frage ist Maaßen ein Sicherheitsexperte. Man muss den Mann ja nicht mögen – aber ihm nicht zuzuhören, seine Beobachtungen nicht zur Kenntnis zu nehmen und seine Argumente nicht zu überdenken, wäre schlicht dumm.

Und gefährlich.

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„Die beste Integration ist die Assimilation.“

Kurzes Quiz: Von wem ist dieses Zitat?

· Geert Wilders

· Marine Le Pen

· Björn Höcke.

Na? Alles falsch: Otto Schily war’s. Ja, DER Otto Schily, Mitbegründer der Grünen und später für die SPD Bundesinnenminister.

In dessen Amtszeit war Maaßen Abteilungsleiter. Heute spricht er schonungslos an, was bei der Integration alles schiefläuft. Das beginnt für ihn schon beim Ansatz, dafür bemüht er einen Vergleich: Am Ende der Schulzeit bekomme man ein Zeugnis dafür, dass man etwas geleistet und Wissen nachgewiesen habe. (In Berlin gilt das nur bedingt, aber das ist auch ein eigenes Thema.) Am Ende eines Integrationskurses hingegen bekomme man eine Bescheinigung dafür, dass man teilgenommen hat. Aber: „Man ist nicht integriert, nur weil man – sehr häufig auch noch gezwungenermaßen – durch einen Kurs geschleift wurde.“

Maaßen sagt vieles, das bei einschlägigen Aktivisten vermutlich schnell zum plötzlichen Herztod führt: Die deutsche Gesellschaft übe viel zu wenig Druck auf Migranten aus, sich zu integrieren. „Noch nicht einmal Deutsch muss man vernünftig lernen – alle Dienstleistungen bis hin zum Asylanwalt und selbst den Sachbearbeiter bei der Behörde bekommt man ja in der eigenen Muttersprache.“

Integration sei keine Frage des Geldes, sondern des Willens – und der fehle bei viel zu vielen Flüchtlingen, vor allem aus muslimischen Ländern.

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Was fällt Ihnen beim Wort „Klimawandel“ ein?

Sicher Greta und all die hüpfenden Schulschwänzer. Maaßen sorgt für einen überraschenden Perspektivwechsel – er beklagt den Wandel beim Meinungsklima: die Erosion der Meinungs- und Redefreiheit durch soziale Stigmatisierung. Man erinnert sich an den unfassbaren Fall von Hans Joachim Mendig: Der Ex-Chef der hessischen Filmförderung wurde bekanntlich entlassen, weil er mit dem EU-Abgeordneten und AfD-Vorsitzenden Meuthen beim Mittagessen fotografiert wurde.

Die Meinungsfreiheit ist in der neuen Bundesrepublik inzwischen offenbar genauso „gewährleistet“, wie sie es in der DDR war.

An manchen Hochschulen dürfen Linksradikale (Gysi, Wagenknecht) immer, Konservative (de Maizière) und selbst Liberale (Lindner) dagegen gar nicht mehr auftreten. Die Universitäten, sagt Maaßen, seien nicht mehr der Ort des freien Denkens und Redens, sondern der Unterdrückung desselben. Statt sich zu wehren, würden die Hochschullehrer sich wegducken. „Deutsche Professoren haben sich schon immer durch intellektuelle Brillanz ausgezeichnet, aber nicht durch Zivilcourage.“

Man stellt sich vor, dass Homosexuelle in den 50er-Jahren sich ungefähr so gefühlt haben müssen: immer auf der Hut; immer abwägend, wer einem gegenübersitzt, was man sagen und von sich preisgeben kann; immer nach heimlichen Signalen dafür suchend, dass der Gesprächspartner womöglich ähnlich denkt (oder einen zumindest nicht denunzieren will). So ist das Klima heute wieder. Deutsche Meinungsfreiheit im Jahr 2019.

Kein Wunder, dass das wiedervereinigte Deutschland vor allem vielen in den östlichen Bundesländern vorkommt wie eine DDR 2.0.

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Nur dass die DDR das bessere Bildungssystem hatte.

Das hört man im Westen nicht gerne, das löst Routinereflexe aus: Schulen und Hochschulen im Osten seien doch – wie die gesamte Gesellschaft – ideologisch völlig verbogen gewesen. Wehrkunde, Marxismus-Leninismus: Alles sei der sozialistischen Staatsideologie unterworfen gewesen.

Das stimmt natürlich – einerseits. Andererseits war die Pädagogik an den Schulen und Hochschulen der DDR keineswegs mittelalterlich. Es wurde nicht so wild experimentiert wie im Westen – das hat dem Lernerfolg allerdings nicht unbedingt geschadet, eher im Gegenteil. Jedenfalls konnten DDR-Abiturienten zwar nur selten ihren Namen tanzen, dafür aber häufig besser lesen, schreiben und rechnen als ihre Altersgenossen im Westen.

Das neue gesamtdeutsche Bildungsproblem wird an diesem Abend als Symptom noch größerer Probleme identifiziert. In seiner stark beklatschten Begrüßungsrede erzählt der DAV-Vorsitzende Khaled Ezzedine kurz aus seiner eigenen Biografie als Sohn libanesischer Einwanderer. Denen sei es stets darum gegangen, das eigene Leben durch Arbeit selbst in die Hand zu nehmen. Seine Eltern seien – wie Millionen Deutsche – Kleinbürger gewesen. Doch deren vermeintlich langweilige Werte hätten nach dem Krieg die Welt erobert.

Diese bürgerlichen Tugenden seien heute – zusammen mit den Kopfnoten auf den Schulzeugnissen – weitgehend abgeschafft.

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Mit der Bildung, sagt Maaßen, demontiert Deutschland auch seine Industrie.

„Wir leben von den Erlösen der Ideen von gestern,“ sagt er. „Die Technologien von morgen macht China.“ Man erinnert sich etwas beschämt daran, dass Deutschland tatsächlich noch nicht einmal ein modernes 5G-Netz ohne fremde Hilfe zustande bringt. (Über den fiktiven Hauptstadtflughafen hüllen wir an dieser Stelle den gnädigen Mantel des Schweigens.)

Eine völlig fehlgeleitete Politik erledige heute das, was selbst der Zweite Weltkrieg nicht geschafft habe: die Deindustrialisierung Deutschlands (gegen die sich die Industrieführer noch nicht einmal richtig wehren würden). Politische Romantik ersetze Realitätssinn, der Wunsch ersetze die Wirklichkeit. Im Ergebnis führe eine industriefeindliche Ideologie zu einer absurden, industriefeindlichen Bürokratie.

Es folgt: das Beispiel des Abends.

2016, als Maaßen noch im Amt war, wurde sein Fahrer vom Ordnungsamt bestraft. Der Mann hielt Laufenten in seinem großen Garten. Die Tiere trugen aber keine Fußringe, was bei Laufenten vorgeschrieben ist (glauben Sie’s ruhig). Deshalb musste er ein Bußgeld bezahlen.

Der Mann habe sich dann beschwert: Deutschland lasse keineswegs ein paar Laufenten ohne Ringe in einem eingezäunten Garten herumlaufen. Gleichzeitig lasse Deutschland Millionen Menschen ohne jedwede Papiere ins Land.

Dazu fällt einem tatsächlich nichts mehr ein.

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Das ist Maaßens stärkster Punkt: das Versagen des Rechtsstaats.

Beispiel 1: In Deutschland leben 240.000 ausreispflichtige Ausländer. Das ist kein Schreibfehler. Das ist einmal Aachen, Braunschweig und Kiel. Oder zweimal Göttingen, Heilbronn und Wolfsburg. Oder dreimal Konstanz, Neumünster und Worms. 240.000, fast eine Viertelmillion.

Beispiel 2: Der Hambacher Forst ist Privateigentum. Als das Gebiet von teilweise gewaltbereiten „Aktivisten“ besetzt wird, wird nicht geräumt.

Es ist ja nicht nur so, dass der Rechtsstaat hier kneift. Hier wird er beerdigt. Das Recht wird nur noch durchgesetzt,

· wenn es keinen Widerstand gibt;

· wenn es keine hässlichen Fernsehbilder gibt;

· wenn es dem Mainstream gefällt.

Tatsächlich, sagt Maaßen, sei die Herrschaft des Rechts durch die Herrschaft der Moral ersetzt worden. Man kennt das aus dem Mittelalter und aus totalitären Staaten: Da stand der Glaube (wahlweise die Moral oder die Ideologie) auch über dem Recht. Es gab keine Herrschaft DES Rechts, sondern eine Herrschaft DURCH das Recht – mit dem der Glaube oder die Ideologie durchgesetzt wurden.

So sei es jetzt wieder in Deutschland – ein Rückfall um ein paar Jahrhunderte.

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Maaßen fordert eine Politikwende.

Moral sei privat, nicht politisch. Politik müsse zweckmäßig und rechtmäßig sein, nicht moralisch. Das Recht werde aber gebrochen, um moralgetränkte Ideologien durchzusetzen: Finanzminister Scholz will allen Vereinen, die sich dem Gender-Wahn verweigern, die Gemeinnützigkeit entziehen. Linksradikale Vereine wie die Amadeo-Antonio-Stiftung (die auch noch von ehemaligen Stasi-IM geführt werden) sollen natürlich gemeinnützig bleiben.

Eine Politikwende sei mit den bekannten Figuren nicht zu bekommen. „Berufslosen, bildungslosen, erfahrungslosen Parteipropagandisten wie Kevin Kühnert kann man das Land nicht überlassen.“ Typische Politikerkarrieren – Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal – erzeugten nur finanziell von ihren Mandaten (und damit von ihren Parteien) abhängige Abgeordnete. Deshalb könne eine Politikwende nur mit einer Personalwende gelingen.

Deutschlands Gesellschaft sei tief gespalten. Das Recht werde gebrochen. Die Freiheit werde immer stärker eingeschränkt. Maaßen plädiert für das Gegenteil: für Einigkeit UND Recht UND Freiheit.

Am Ende bekommt er minutenlang stehende Ovationen.

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„Wir müssen uns wieder trauen, jeden Tag und überall offen zu sagen, was der gesunde Menschenverstand gebietet,“ sagt der DAV-Ehrenvorsitzende Peter Schmidt in seinem Schlusswort. Oder anders: Entgegen dem, was links überall geschwätzt wird, geht es nicht darum, „Gesicht zu zeigen“.

Es geht nicht um das Gesicht in der Kamera. Es geht um den Arsch in der Hose.

14. November 2019

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