Ralph Thiele

Quanten – zu neuen Superlativen

... bizarr

Die Welt der Quanten ist bizarr. Sie hat mit unserer Erfahrungswelt wenig zu tun. Quanten können an zwei Orten gleichzeitig sein. Sie können durch Wände gehen. Sie beherrschen Teleportation. Sie sind hochsensibel. Schon der kleinste Kontakt zur Außenwelt genügt, und sie fallen in sich zusammen. Das ist die Herausforderung für den Bau des Quantencomputers: Quantenzustände schützen und sie gleichzeitig kontrollieren und manipulieren. Die Quantenwelt ist ein wenig verrückt - aber das kann man nutzen. Überall auf der Welt arbeiten Forscher daran. Sie machen vielversprechende Fortschritte.

Während die meisten Institutionen, Organisationen und Unternehmen noch mit der Digitalisierung kämpfen, lugt bereits eine neue Ära disruptiver Veränderungen um die Ecke, die sogenannte zweite Quantenrevolution. Gemeinsam mit der Allgemeinen Relativitätstheorie hat die quantenphysikalische Forschung die etablierten Auffassungen von den Grundgesetzen der Natur auf den Kopf gestellt. Entsprechend disruptiv ist das Potenzial der Quantentechnologien. Kein Wunder, dass wirtschaftliche und staatliche Akteure in China und den USA immense Summen in deren Entwicklung investieren.

... Anwendungen

Die Technologien der ersten Quantenrevolution wie Smartphones oder das Internet nutzen wir heute völlig selbstverständlich im Alltag. Die gesamte Mikroelektronik basiert auf Chips, in deren Inneren quantenphysikalische Prozesse genutzt werden. Laser senden Lichtquanten mit einer ganz bestimmten Energie aus. Mit der zweiten Quantenrevolution entsteht nun eine neue technologische Leistungsklasse.

Quantenrechnerwerden als eine alternative, komplementäre und sogar synergistische Technologie in der Lage sein, Probleme zu lösen, die für klassische Computer unerreichbar bleiben.Die heutigen Rechner agieren mit Bits und Bytes. Quantenrechner arbeiten mit einem revolutionären, völlig neuen Ansatz. Die Grundrecheneinheit basiert nicht mehr auf Nullen und Einsen, auf Schwarz und Weiß, sondern nutzt auch die Grauwerte. Quantenbit, so nennt sich die mächtige Recheneinheit und erlaubt das Rechnen in parallelen Welten.

Neue Rechnerarchitekturen und die Parallelisierung von Rechenoperationen ermöglichen die Verarbeitung und Analyse von „Big Data“, z. B. durch Mustererkennung auf Basis künstlicher neuronaler Netze. Das führt z.B. zu besseren Suchalgorithmen und schnelleren Berechnungen für eine Vielzahl von Anwendungen. Eine dringend erwartete Anwendung für die Quantenrechner ist das Aufbrechen von Schlüsseln, mit denen Staaten, Banken und andere Akteure ihre Geheimnisse sichern. Eine Reihe von Staaten haben bereits damit begonnen, die codierten Geheimnisse anderer Staaten zu sammeln, in der Erwartung, dass sie bereits innerhalb des kommenden Jahrzehnts wertvolles Wissen aus diesen Daten extrahieren können.

Quantensimulationwird wichtige Probleme im Bereich Chemie, Materialwissenschaften, sowie in der fundamentalen Physik simulieren können. Dies erleichtert das Auffinden von Materialfehlern, die elektromagnetische Ursachen haben. Die optimalen Materialeigenschaften für Anwendungen können so ermittelt werden. Die Simulation von komplexen Molekülen für biochemische Anwendungen kann detaillierter berechnet werden. In der Pharmazie können z. B. Medikamente effizienter zusammengesetzt und kostengünstiger hergestellt werden

Quantenkryptographieund -kommunikationsind Grundlage einer inhärent sicheren Datenübertragung. Quantenkryptographie dient staatlichen und wirtschaftlichen Akteuren in der geschützten Kommunikation, darüber hinaus aber ebenfalls Privatpersonen und deren zu schützende Daten. Persönliche Daten in elektronischen Patientenakten, Steuerakten, sozialen Netzwerken, im Bank- und E-Mail-Verkehr etc. können abhörsicher und nicht manipulierbar genutzt werden. Die Verschlüsselung mit quantenphysikalischen Eigenschaften garantiert absolute Sicherheit bei der Datenübertragung. Das ermöglicht sichere, anonyme Bankgeschäfte unter Einsatz digitaler Währungen. Auch der Schutzkritischer Infrastrukturen gewinnt enorm, denn die Manipulation oder Fremdsteuerung, z. B. von autonomen Autos, Atomkraftwerken oder Stromnetzen ist nicht mehr möglich. Quantenkommunikationstechnologien wie z.B. die Quantum Key Distribution (QKD)-fähige Kryptographie schützt vor zukünftigen Quantenangriffen. QKD funktioniert bereits. Diese Technologie wurde nicht nur über Lichtwellenleiter, sondern darüber hinaus auch in der Übertragung zwischen Boden und Satelliten demonstriert.

Quantensensorik und –metrologie werden bislang in Auflösung, Empfindlichkeit und Genauigkeit unerreichte Fähigkeit Niveaus erlangen. Ob Polkappenschmelzen, Tsunamis, Überschwemmungen – die präzise Vermessung und Detektion klimatischer Veränderungen ermöglichen besseren Klimaschutz und eine frühzeitige Erkennung von Naturkatastrophen. In der Medizintechnik werden Sensoren präziser und in höherer Auflösung als je zuvor kleinste Veränderungen von Gewebestrukturen oder Gehirnaktivitäten erfassen. Das hilft, Erkrankungen früher zu erkennen und zu behandeln. Zur Synchronisation großer Datennetzwerke oder Radioteleskope, zur Verbesserung von Zeitskalen und zur globalen Satellitennavigation können höchstpräzise Uhren eingesetzt werden. Durch hochgenaue Magnetfeldmessung können Schreib-/Leseköpfe entwickelt werden, die Festplatten mit weitaus höheren Datenmengen beschreiben.

Besonderes Interesse weckt derzeit die hohe Empfindlichkeit und Präzision von Trägheitsmessungen auch bei Beschleunigung und Rotation. Hier entstehen genaue und nicht manipulierbare Navigationssysteme, die in Luft-, Raum- und Schifffahrt sowie fürs autonome Fahren verwendet werden können, wenn herkömmliches GPS nicht zur Verfügung steht.Höchstpräzise Gravitationssensoren sind zudem in der Lage, versteckte Objekte oder Hohlräume hinter Gebäuden, unter der Erde, unter Wasser oder auch in der Luft zu erkennen, beispielsweise U-Boote oder Stealth-Flugzeuge. Im Gegensatz zum (aktiven) Sonar sind derartige Messungen vollständig passiv und können daher nicht erkannt werden. Diese Präzision und Empfindlichkeit gilt ebenfalls für die Messung von magnetischen sowie elektrischen Feldern. Das erleichtert z. B. die Erkundung von Lagerstätten.

... das Rennen ist eröffnet

Das enorme Innovationspotenzial der Quantentechnologien ist weltweit von der Politik erkannt worden. Hinter China und den USA hat sich auch Europa prospektiv positioniert. Die britische Regierung hat bereits im Jahr 2013 ein beeindruckendes nationales Förderprogramm auf die Beine gestellt. Das gilt im kleineren Maßstab auch für die Niederlande, die zudem während ihrer EU-Ratspräsidentschaft 2016 das Themenfeld europäisch verankert haben. Zugleich haben rund 3500 europäische Wissenschaftler ein Quanten-Manifest präsentiert und dazu beigetragen, dass die Europäische Kommission ein sogenanntes Quantum Technologies FlagshipFörderprogramm aufgelegt hat. Dies europäische Projekt für die Quantentechnologie zielt darauf ab, dass Firmen und Forscher gemeinsam marktfähige Prototypen entwickeln. Verteilt über zehn Jahre soll eine Milliarde in die Forschung fließen – gut die Hälfte aus EU-Töpfen, der Rest von den Mitgliedstaaten.

Deutschland und die EU besitzen für die Entwicklung von Quantentechnologien eine gute Ausgangsbasis. Europa ist weltweit führend in der Quantenphysik – mit rund 50 % aller wissenschaftlichen Publikationen und fast 40 % der Forscher in diesem Bereich. In Deutschland arbeiten 85 der insgesamt 457 europäischen Forschungsgruppen.In Deutschland hat im April 2017 ein Konsortium renommierter Wissenschaftler eine Initiative zur Förderung der Quantentechnologien eingereicht, die inzwischen auch finanziert wird.

Mittlerweile setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass deutsche Institute und Unternehmen die zweite Quantenrevolution maßgeblich mitgestalten und eine führende Rolle bei dem Transfer in die Anwendung und Vermarktung übernehmen. Daher bündelt die Bundesregierung ihre Kräfte, um die Entwicklung der Quantentechnologien in Deutschland strategisch voranzutreiben. Das Rahmenprogramm „Quantentechnologien – von den Grundlagen zum Markt“ definiert die Ausgangslage sowie die Ziele und erläutert die konkreten Maßnahmen bis 2022.[1] Insgesamt stellt die Bundesregierung derzeit 650 Mio. Euro für die Erforschung der Quantentechnologien bereit. Sie will die Entwicklung in den Quantentechnologien kontinuierlich verfolgen, die eigenen Maßnahmen überprüfen und sachgerecht weiterentwickeln.[2]

... früher ist besser

Während US Firmen wie IBM, Google und Amazon bereits groß in Quantentechnologien investieren, ist das Interesse der Industrie in Deutschland an Quantenrechnern bislang eher unterdurchschnittlich ausgeprägt. Es gibt kaum Firmen, die in die Hardware investieren oder Bauteile anbieten. Internet-Provider interessieren sich mit Blick auf die Abhörsicherheit zwar für Quantenkryptographie, dennoch lautet die Devise auch dort: Abwarten.

Tatsächlich wäre ein frühzeitiges Engagement besser. Warten hat sich bereits im Kontext der Digitalisierung als nachteilig für den Industriestandort Deutschland erwiesen. Die derzeit entstehenden 5G Netze sollten von vornherein quantenfähig und -sicher sein. Verschlüsselungsverfahrensollten bereits heute den Möglichkeiten von Quantentechnologien abhörsicher Stand halten.Quantenrechner werden die heutigen Grenzen zahlreicher Technologien deutlich verschieben.Künstliche Intelligenz und Extended Reality werden von den immensen Rechenleistungen profitieren und virtuelle Welten und Datenbrillen ermöglichen, die virtuelle und reale Welt verschmelzen lassen. Wir werdenSensoren bekommen, mit denen man um die Ecke schauen kann sowie Computer und Drohnen, die sich per Gedanken steuern lassen. Mediziner werden mit Quantentechnologien Magnetfelder des Gehirns vermessen und Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson besser verstehen. Quantengestützte Simulationen werden gestatten, den Verkehrsfluss zu optimieren oder neue Werkstoffe und Katalysatoren zu entwickeln. Fazit: Man ist gut beraten, sich bereits heute mit dem exorbitanten Potenzial dieser kleinen, bizarren Teilchen zu befassen.

[1]BMBF. Quantentechnologien. https://www.bmbf.de/de/quantentechnologien-7012.html

[2]Bundesministerium für Bildung und Forschung. Quantentechnologien – von den Grundlagen bis zum Markt. Bonn 2018. https://www.bmbf.de/upload_filestore/pub/Quantentechnologien.pdf

10. September 2019

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