Moritz Mücke

Linke Ziele ohne Kernkraft? Sorry, ihr schießt euch ins Knie!

Kein wichtiges Ziel linker Politik kann erreicht werden ohne die sichere Vierte Generation der Kernkraft: Nur mit ihr lässt sich der CO2-Austoß verringern, ohne dabei die Grundlastfähigkeit einer Industrienation zu gefährden. Nur mit ihr lässt sich bereits existierender Atommüll zeitnah abbauen. Nur mit ihr lässt sich an ein bedingungsloses Grundeinkommen oder die Bewältigung des demographischen Wandels denken, denn jeder Sozialtransfer wird von steigenden Stromkosten früher oder später aufgefressen.

Nur mit ihr. Nur mit Vier.

Entspannter lebt es sich auf der anderen Seite. Konservative und Liberale sind weniger bekümmert über Atommüll und Klimawandel. Günstige Grundlast ließe sich auch mit Kohle und Erdgas bewältigen. Von ersterer haben wir reichlich, bei letzterem gibt es Auswahlmöglichkeiten: Wladimir via Nord Stream oder Flüssiggas von Onkel Donald. Selbst an unwahrscheinlichen Orten wie Griechenland, Zypern und Israel lässt sich alles, was das Herz begehrt, aus den Böden fracken.

Klar, dass etwa die Union kurz vor der Europawahl kein Wort über Generation Vier verliert. In ihrem Programm steht lediglich etwas davon, dass Deutschlands Ausstieg aus der alten Kernkraft „nicht durch emissionsintensiven Strom aus anderen Ländern ersetzt werden“ dürfe. Auch die FDP gähnt sich gekonnt aus der Affäre: „Wir Freien Demokraten respektieren die Entscheidung anderer europäischer Länder, weiter auf die Kernkraft zu setzen. Wir fordern jedoch die effektive Durchsetzung eines einheitlichen europäischen Sicherheitsniveaus für die Nutzung von Kernkraft.“ Eine packende Lektüre!

Windräder gehen in Flammen auf

Schockierend allerdings, dass die linken Parteien über die Vierte Generation schweigen, obwohl diese CO2-neutral ist und alte Atomabfälle als Brennstoff nutzen kann. Die Linkspartei schreibt in ihrem Wahlprogramm sogar die Auflösung von EURATOM herbei, Deutschlands verbliebenem Fuß in der Pforte zur neuen Technologie. Die SPD halluziniert über einen „Fahrplan zum europäischen Atomausstieg“. Die allerheiligste Klima-Partei ist kaum erwähnenswert, da in ihrem Dunstkreis die Popularität und wissenschaftlich fundierte Grünheit der Vierten Generation geradezu passiv-aggressiv bestritten wird, was in der Vergangenheit sogar zu juristischen Verwerfungen geführt hat.

Leider ist ausgerechnet die AfD die einzige Partei, der G-IV einen Satz wert ist. In ihrem Europawahlprogramm fordert sie, „dass sich Deutschland wieder an der weit fortgeschrittenen Entwicklung neuartiger Typen von Kernreaktoren beteiligt.“ (Sämtliche Witze über die „Reaktionären“, die sich den „Reaktoren“ anschmiegen, spare ich mir an dieser Stelle. Jeder kann sich seinen Teil denken, und Framing-Manuals gibt es überall.)

Der AfD-Satz könnte strenggenommen falsch sein, da Deutschland schon heute über EURATOM am Generation IV International Forumbeteiligt ist. Allerdings ist er bezeichnend für die erheiternde Verwirrung der deutschen Parteien in Energiefragen. Will etwa die SPD den Fortschrittsgedanken ausgerechnet der AfD überlassen? Und währenddessen weiter Windmühlen anbeten, eine aus dem Mittelalter stammende Technologie? Klar darf man einwenden, dass die heutigen Dinger besser sind, aber gilt das nicht auch für die Vierte Generation? Warum verzeiht man ihr nicht ihre Vorfahren? Aktuell jedenfalls sind es Windkraftwerke, die zunehmend in Flammen aufgehen, weil sich Verschleiß bemerkbar macht, worüber auch das ZDF dankenswerterweise bildgewaltig berichtet hat.

Die Welt mit teutonischem Tech-Trübsal betäuben?

Noch ein Paradoxon: Die GroKo (& Co) verweigert sich nicht nur dem Fortschritt, sondern sogar der Fremdenfreundlichkeit. Sie betreibt eine nationalistische Energiepolitik, die sich nur rhetorisch in Europa-Phrasen flüchten kann. Polen wehrt sich längst gegen Deutschlands überfallartige Zappelstromexporte. Auch anderen Nachbarn wird man solche Netzaggressionen nicht ewig verheimlichen können. Und bei so einem Thema will man das Feld der AfD überlassen?

Derweil redet die ganze Welt über die Vierte Generation. Deshalb rede ich darüber. Allein in den USA gehen in den letzten Wochen alle sichtbaren Meinungsartikel in dieselbe Richtung. Dazu zähle ich die Mainstream-Linke (New York Times: „Kernkraft kann die Welt retten“), die Mainstream-Rechte (Wall Street Journal: „Das Klima braucht Kernkraft“), die Technologiefreunde (MIT Technology Review: „Die neuen, sichereren Kernreaktoren, die helfen könnten, den Klimawandel zu stoppen“), und die Trumpisten (Washington Examiner: „Nur Fracking und Kernkraft können den Planeten Erde retten“). Im heillos zerstrittenen US-Kongress herrscht bei der Förderung neuer Forschungsvorhaben parteiübergreifende Kooperationsbereitschaft (Nuclear Energy Innovation and Modernization Act, Nuclear Energy Leadership Act).

Aber auch die deutsche WELT hat unlängst von neuen Trends berichtet und sich für den „perfekten Kernreaktor“ des Berliner Instituts für Festkörperphysik stark gemacht (Bezahlschranke). Da das auch mich überrascht hat, tweetete ich die kurzmöglichste Zusammenfassung in die englischsprachige Welt hinaus. Es gab fast 100.000 Impressionen, woraus sich schlussfolgern lässt, dass es weltweit zahlreiche Menschen gibt, die Twitter nach den entsprechenden Hashtags absuchen und auch daran interessiert sind, was das kernkraftskeptische Deutschland von G-IV hält. Wenn es hier klappt, kann es überall klappen. Die Zukunft wartet nicht auf uns, aber das ist kein Grund, sie trotzig auszusitzen und die Welt mit teutonischem Tech-Trübsal zu betäuben.

China und Russland nutzen schon Gen-IV-Reaktoren

Freilich macht auch die Forschung auf dem Bereich Fusionskraft, dem flatterhaften Vetter der Vierten Generation, Fortschritte. Aufgrund jahrzehntelanger staatlich geförderter Grundlagenforschung lassen sich Versuchsanlagen heute dramatisch kleiner dimensionieren, worauf das MIT-Spinoff Commenwealth Fusion Systems baut, indem es auf die neuen REBCO-Supraleiter setzt. Dazu kommen in Kalifornien bessere Computermodelle und Machine Learning, um Testläufe effektiver auszuwerten. Allein die Tatsache, dass es zunehmend private Unternehmen sind, die sich der Fusion annehmen, lässt aufhorchen. Nicht nur die praktische Umsetzung, sondern die wirtschaftliche Profitabilität ist nun greifbar.

Allerdings ist die Fusionskraft – also die eierlegende Wollmilchsau – in gewisser Weise weniger „grün“ als die in Frage kommenden Designs der Generation IV. Denn nur letztere können unsere existierenden Atomabfälle in den Brennstoffkreislauf integrieren, wodurch dieser komplett geschlossen wird. Auch aus anderen Gründen bieten sie sich als Thema für die Europawahl an: Internationale Kooperation, hohe Investitionssummen und eine enge Verzahnung mit der politischen Bürokratie sind hier von Vorteil. In China und Russland sind erste Gen-IV-Reaktoren schon im Einsatz.

Abschließend lässt sich festhalten, dass den deutschen Parteien vor der Europawahl in der Energiepolitik bereits drei Erfolge geglückt sind. Erstens: Das polarisierte Amerika sieht aus wie ein Paradies brüderlicher Einmütigkeit. Zweitens: China und Russland sehen aus wie die unanfechtbaren Fackelträger globaler Technologieführerschaft. Drittens: Die AfD sieht aus wie die treibende Kraft von Fortschrittlichkeit, Wissenschaftsbegeisterung und Fremdenfreundlichkeit. Da kann man nur gratulieren.

20. Mai 2019

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