Dr. Björn Peters

Das Ende der Energiewende und der neue Ökologische Realismus

Die Energiefrage - #65

In Berlin glaubt kein Fachpolitiker mehr an den Erfolg der Energiewende. Wen man auch immer befragt, jeder sagt dies nur hinter vorgehaltener Hand und meint, würde er damit an die Presse gehen, könne er gegen den ‚grünen‘ Medien-Mainstream nur verlieren. Das Problem sei, dass es kein Gegenmodell gäbe. Wir machen einen Aufschlag für eine Energiestrategie, die alle Energieformen einschließt, sagt, warum wir sie benötigen, und wie mit Rohstoffen umzugehen ist. Weil das Thema neu ist, werden wir es nicht in der gewohnten Kürze abhandeln können.

Warum wir einen Neustart in der Energiepolitik benötigen

Chemische Energie aus Kohle, Öl und Gas liefert weltweit und auch in Deutschland etwa vier Fünftel der Primärenergie und stellt damit die Gegenwart der Energieversorgung dar. Irgendwann werden die Vorräte aufgebraucht sein, Öl voraussichtlich zum Ende dieses Jahrhunderts, Kohle und Gas bis zur Mitte des angebrochenen Jahrtausends. Daher ist es seit langem politischer Konsens, sich um Alternativen zu bemühen. Chemische Energieträger sind einstweilen noch unersetzbar und werden es noch einige Jahrzehnte bleiben. Zu groß sind deren Vorteile. Bei Kohle sind es die kostengünstige, massenhafte Verfügbarkeit und die relativ saubere Verbrennung, zumindest in modernen Kraftwerken. Dennoch ist die Kohleverbrennung die für den Menschen „tödlichste“ Energieerzeugungsform.

Gas ist demgegenüber viel sauberer in der Verbrennung, und es zeichnet sich ab, dass es überwiegend nicht fossilen Ursprungs ist, sondern in sehr großer Tiefe im Erdinneren erzeugt wird und dann langsam nach oben steigt und sich in günstigen Fällen in Blasen unter dichterem Deckgestein sammelt[i]. Erdgas trägt seinen Namen also zurecht und eignet sich noch für viele Jahrzehnte als Übergangstechnologie.

Kraftstoffe auf Erdölbasis haben den unschätzbaren Vorteil hoher Energiedichte. Mit über 10 kWh/kg – hundert Mal höher als die von Batterien – sind sie die einzigen Energieträger, die Autos auf Überlandfahrten, LKW und Schiffe zuverlässig mit Energie versorgen können[ii]. Auch würde kein Flugzeug mit Nutzlast abheben können ohne Kraftstoffe, sodass im Luftverkehr Kraftstoffe noch viele Jahrzehnte lang unersetzbar sein werden. Dass man verflüssigtes Erdgas auch tanken kann, hilft übrigens der Reichweite der chemischen Energieträger, da die Gas- voraussichtlich noch länger reichen werden als die Ölvorräte.

Wären da nicht die Emissionen an Kohlendioxid. Wir haben es in den letzten hundert Jahren bereits geschafft, den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre um die Hälfte zu erhöhen. Dies beunruhigt viele Menschen, und viele Wissenschaftler stehen auf dem Standpunkt, dass der Anstieg an Kohlendioxid bereits zur Erderwärmung beigetragen hat. Andere Wissenschaftler bleiben hierzu skeptisch, aber die Diskussion hierüber ist müßig. Was festzuhalten bleibt, ist die Tatsache, dass der Mensch im Begriff ist, den Gehalt der Atmosphäre an Kohlendioxid zu verdoppeln, was eine Art Terraforming-Experiment ist an der derzeit einzigen Erde, die wir haben, und dass wir noch nicht wissen, ob die positiven Auswirkungen höherer Kohlendioxidkonzentrationen auf das Pflanzenwachstum etwaige negative Auswirkungen auf das Wettergeschehen überwiegen. Außerdem bleiben die chemischen Energierohstoffe endlich und kosten zu viele Menschen Leben und Gesundheit. Mindestens eines der beiden Argumente sollte uns genug sein, dass wir uns auf die Suche nach weiteren potentiellen Energieträgern machen.

Dass die Umgebungsenergien gerade aus Sonne, Wind und Biomasse hierfür nicht geeignet sind, haben wir in der „Energiefrage“ mehrfach dargelegt.

Eine sichere und kostengünstige Energieversorgung ist ein Friedensprojekt, humanistisch geboten und eine ökologische Notwendigkeit. Wenn nun die chemischen Energieträger zu viele Schädigungen an Mensch und Natur bewirken und in absehbarer Zeit zur Neige gehen werden, und die Umgebungsenergien eine flächendeckende Energieversorgung nicht leisten können, bleiben nur nukleare Energieträger übrig. Andere Energiequellen lässt die Physik nicht zu. Von diesen können wir zeigen, dass sie das Potential haben, für immer saubere und hochkonzentrierte Energie zu liefern. Besonders von Bedeutung ist, dass nukleare Energien für alle Anwendungen, die die menschliche Zivilisation benötigt, Energie zur Verfügung stellen können, also neben der elektrischen Energie auch die für Heizung, Transport und industrieller Prozessenergie.

Es gibt einige Kandidaten für eine moderne Energieversorgung mittels Kernenergie. In meinen Augen der erfolgversprechendste ist die Dual Fluid Technologie[iii]. Diese hat einige Eigenschaften, die sie zu einem wertvollen Kandidaten für die weitere kerntechnische Entwicklung machen. Wie die anderen Kernkraftkonzepte mit Flüssigbrennstoff (zB Molten Salt Reactor) ist ein Dual Fluid Kraftwerk inhärent sicher, da physikalische Prozesse verhindern, dass es außer Kontrolle geraten kann, es arbeitet emissionsfrei und kann aus abgebrannten Brennstäben und sogar aussortierten Atomwaffen große Mengen an Energie erzeugen.

Die Technologie verwendet als Träger für die Brennstoffe flüssiges Metall, das extrem robust über Jahrzehnte eingesetzt werden kann. Der Brennstoff verbrennt vollständig, rückstandsfrei und reduziert so die Notwendigkeit der Lagerung von „Atommülls“ – der damit keiner ist – von mehreren hunderttausend Jahren auf ein Jahrhundert. Das Kraftwerk arbeitet bei etwa 1.000°C, die für die Stromproduktion oder für chemische Prozesse verwendet werden kann. Damit können Kraftstoffe und wichtige Chemikalien synthetisiert werden.

Die Brennrate des Kraftstoffs wird alleine durch die Wärmeabnahme, also ohne Eingriff von außen, gesteuert. Die Brennrate hängt in einem Kernreaktor auch von den Abständen der Atomkerne zueinander ab. Bei Flüssigbrennstoffen dehnt sich die Flüssigkeit aus, wenn die Wärme der Reaktion nicht genutzt wird und sich die Flüssigkeit erhitzt, wodurch die Brennrate automatisch, geometrisch bedingt, absinkt. Der Reaktor regelt sich also auf einfachste Weise selbst und enthält keine teuren steuernden, beweglichen Sicherheitseinrichtungen. Er arbeitet zudem drucklos. Dadurch ist der Reaktor zum einen inhärent sicher, kann also nicht explodieren, und er ist einfach zu bedienen, auch in weniger privilegierten Regionen der Erde könnte er also für preisgünstige Energie und wirtschaftliche Entwicklung sorgen.

Die Dual Fluid Technologie ist auf kompakte und kostengünstige Bauweise optimiert. In der „kleinen“, 300 MW(el)-Variante hat der Reaktorkern einen Durchmesser von gerade mal 130 Zentimetern. Einmal mit Brennstoff gefüllt, reicht dessen Füllung für ca. 25 Jahre und könnte danach en bloc gegen einen neuen ausgetauscht werden. Das Konzept ist mit geringem Aufwand skalierbar für 3.000 MWth bzw. 1.500 MWel für Großkraftwerke und sogar bis 30.000 MWth für Kraftstoff-Synthese-Einrichtungen in der Größenordnung heutiger Raffinerien. Er kann gut standardisiert werden und die gewonnene Energie kostet in heutiger Währung weniger als einen Cent je Kilowattstunde thermischer Energie. Kein Wunder, dass er zunehmend Beachtung in den Medien findet.

Dennoch fokussiert sich die heutige Energiepolitik in Deutschland und der EU darauf, wenige Technologien der Stromgewinnung zu fördern, umfassendere Konzepte zur Energieversorgung dagegen einseitig anzugehen oder gar zu ignorieren. Die Politik kann sich nicht gänzlich aus Technologieentscheidungen heraushalten. Solange aber viele offene Fragen für eine Energiestrategie auf Basis von Umgebungsenergien noch nicht im Ansatz beantwortet sind, gebietet sich ein technologieoffenerer Politikansatz. Ein gleichzeitiger Ausstieg aus Kohle und Kernenergie, ein zu einseitiger Fokus auf den Stromsektor, die Nichtbeachtung der naturwissenschaftlichen, technischen, volkswirtschaftlichen, verfassungsrechtlichen und energiewirtschaftlichen Gegebenheiten, all dies sind Merkmale der heutigen Energiepolitik. Es ist gelegentlich möglich, gegen viele Gesetze ungestraft zu verstoßen, wer dies aber bei Naturgesetzen versucht, muss scheitern.

Wir sind uns dessen bewusst, dass uns viele bei der Empfehlung, für die Energieversorgung auch kerntechnische Lösungen zu erforschen, zunächst nicht folgen werden. Aber am Ende wird auch die deutsche Öffentlichkeit um die banale physikalische Realität nicht herumkommen: Ohne nukleare Energieträger wird wegen der Tücken bei den Umgebungsenergien ein Ausstieg aus den chemischen Energieträgern nicht gelingen. Daher ist ein Neustart in der Energiepolitik dringend geboten. War die „Energiewende“ bislang die Leitidee der Energiepolitik, so sollte nun der Ökologische Realismus an deren Stelle treten. Davon handelt dieses Kapitel.

Mehr Realismus in der Ökologie!

Das zentrale ökologische Thema unserer Zeit ist der Verlust an Arten („Biodiversität“). Die Ursache ist einfach zu verstehen. In seinem Expansionsdrang, in seinem Hunger nach Rohstoffen und landwirtschaftlichen Flächen dehnt sich der Mensch immer weiter über den Globus aus. In Europa und den USA sind fast keine Wildnisflächen mehr zu finden, und nur in relativ kleinen Nationalparks kann sich die Natur noch gänzlich frei von menschlichen Einflüssen entfalten. Die großen Steppen Sibiriens, Afrikas und Lateinamerikas, die Urwälder Kanadas, Brasiliens, Indonesiens und Malaysias geraten unter Druck, weil wir die Fläche zur Herstellung von Lebensmitteln, Holz und Energiepflanzen beanspruchen. Auch in sämtlichen Weltmeeren ist der Mensch auf der Jagd nach Nahrung, Öl und Gas.

Eine Umkehr in der menschlichen Wirtschaftsweise ist daher dringend geboten. Hierbei sollten die modernen Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften in ein umfassendes Gesamtkonzept der Energie- und Nahrungsmittelversorgung umgemünzt werden. Dieses Gesamtkonzept muss zwei Ziele erreichen, will es umgesetzt werden: Die Umwelt muss so an Qualität gewinnen, dass die Artenvielfalt in möglichst großem Umfang erhalten bleibt. Und es muss dem Menschen ermöglichen, Zivilisation und Technik weiterzuentwickeln. Zusammen muss es dem Menschen ermöglichen, in Frieden mit der biologischen Umwelt zu leben.

Das „Ökologische“ steht daher beim Gesamtkonzept im Vordergrund. Gleichzeitig sollte es die modernen Erkenntnisse aus Naturwissenschaften, Volkswirtschaft und Technik „realistisch“ einbeziehen, das heißt es muss messbare Ziele formulieren, die Zielerreichung anhand der Messkriterien ständig nachhalten und bei Bedarf Änderungen vornehmen. Wir nennen unsere Strategie daher „Ökologischen Realismus“.

Die erste Kernforderung des Ökologischen Realismus ist Konzentration: der Natur möglichst große Flächen zur freien Entfaltung zu überlassen. Sich selbst überlassene Wildnisflächen können sich besser an Stress und klimatische Veränderungen anpassen als Flächen, die durch Übernutzung geschwächt sind. Wie aber können wir der Natur möglichst große Flächen zurückgeben, auf denen sie sich selbst überlassen werden kann? Durch hochkonzentrierte Energieformen, die es physikalisch gesehen nur im Atomkern gibt. Und durch intensive Landwirtschaft auf immer geringeren Flächen.

Eine zweite Kernforderung des Ökologischen Realismus ist Kreislaufwirtschaft: Sie besagt, dass der Natur möglichst wenig entnommen werden sollte. Während natürliche Ressourcen prinzipiell unendlich sind[vi], werden Rohstoffe auch auf lange Sicht aus der Natur stammen müssen. In erheblichem Maß können Rohstoffe aber über eine Kreislaufwirtschaft, wie sie die biologische Natur selbst vormacht, wiedergewonnen werden. Dies setzt voraus, dass preisgünstige Energie zur Verfügung steht.

Der Ökologische Realismus kann sich daher auf die zwei Leitprinzipien zusammenfassen: Konzentration und Kreislaufwirtschaft.

Konzentration als Treiber der Zivilisationsgeschichte

Im Anfang war nur Muskelkraft. Lange danach entdeckte der Mensch, Feuer für sich zu nutzen. Die erste natürliche Ressource zur Energiegewinnung, die der Mensch also nutzte, war Holz. Mit dem Beginn der menschlichen Zivilisation kamen Wasser- und Windkraft hinzu. Deren Verfügbarkeit war aber räumlich und zeitlich beschränkt, weswegen ganze Wälder gerodet wurden für den Hunger der Menschen nach Energie und Bauholz. In der Frühen Neuzeit kam die Nutzung von Torf hinzu. In den Niederlanden wurden ganze Landstriche weggegraben und das Land bis unter den Meeresspiegel abgesenkt. Torf wird heute kaum noch genutzt, aber zum Holz gesellen sich andere biogene Kraftstoffe und „Bio“-Gas. Auch heute noch stammt knapp ein Zehntel der Energie, die die Menschheit verbraucht, aus diesen biogenen Quellen und aus der Müllverbrennung (9,8%)[iv]. Solar- und Windenergie sowie die Geothermie stellen ganze 1,7% der Energie bereit.

Im 12. Jahrhundert wurden neben dem Torf in der Nähe von Lüttich auch die ersten Kohlelagerstätten entdeckt. Es dauerte allerdings bis ins 18. Jahrhundert, bis der Kohlebergbau perfektioniert wurde. Mit der gleichzeitigen Erfindung der Dampfmaschine konnte die Kohle besser genutzt werden – und der Kohlebergbau wurde immer weiter optimiert, da mit den Dampfmaschinen auch die unterirdischen Wasserzuflüsse schneller und zielgenauer abgepumpt werden konnten. Von nun an wuchs der Kohleverbrauch exponentiell, beflügelt durch Kriege, die europäische Gründerzeit, den amerikanischen Drang nach dem "wilden" Westen, neue Technologien wie die Eisenbahn und immer effizientere Abbaumethoden und Transportwege. Heute noch stellt Kohle über ein Viertel der weltweiten Energieversorgung sicher (27,1% lt. IEA im Jahr 2016).

So effektiv die Kohle als Energierohstoff ist, so gefährlich ist der Abbau für die Bergleute und Minenarbeiter, und so schädlich sind die Abgase bei der Nutzung. Im Braunkohletagebau werden gar ganze Landstriche weggebaggert, neue Berge und Seen entstehen, wo einst fruchtbare Ebenen die Landschaft prägten. Die Menschheit machte sich daher auf die Suche nach weiteren Energiequellen.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Erdöl, seit Ende des 19. Jahrhunderts auch Erdgas industriell abgepumpt und genutzt. Öl hat zwar eine nur doppelt höhere Energiedichte als Kohle, lässt sich aber als flüssiger Kraftstoff vielseitiger und dosierter einsetzen. Ein einmaliger Siegeszug begann nach dem zweiten Weltkrieg. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten nach 1945 bis 1980 stieg die weltweite Förderung von wenigen hundert Millionen Tonnen auf 3,1 Mrd. Tonnen und bis heute auf über 4 Mrd. Tonnen jährlich an. Erdöl liefert heute weltweit knapp ein Drittel der Energie (31,9%).

Eine ähnliche Entwicklung durchlief Erdgas. Schon seit der Antike bekannt, begann dessen breite Nutzung zur Beleuchtung, als Heizmaterial, zum Kochen, zur Stromerzeugung und in der Herstellung von Industrierohstoffen erst in den späten 1950er-Jahren. Es verbrennt sauberer als Erdöl, da es keine Schwefelverbindungen enthält, zu Kohlendioxid und Wasser. Erdgas liefert heute über ein Fünftel der Energie (22,1%).

Zusammen liefern die chemischen Energierohstoffe Kohle, Öl und Gas über vier Fünftel der Energie für die Menschheit (81,1%). Dieser Wert von 2016 liegt kaum niedriger als im Jahr 1973, damals waren es 86,7%, und er sank hauptsächlich wegen des Ausbaus von Wasserkraft und Kernenergie.

Seit den 1970er-Jahren kam die Kernenergie als weitere Energiequelle hinzu und wurde in rasantem Tempo bis zum Ende der 1990er-Jahre ausgebaut. Sie ist nochmals um einige Zehnerpotenzen konzentrierter als Kohle oder Öl. Kernenergie liefert heute knapp ein Zwanzigstel der weltweiten Energie (4,9%), der Anteil stagniert aber seit etwa 2005 bei etwa 2.500 TWh.

Jeder Schritt von einer Energiequelle zur nächsten ermöglichte technologische Innovationen, ließ neue Industrien entstehen, verbesserte das Leben der Menschen und sorgte für steigende Lebenserwartung. Insofern ist es nicht verständlich, dass im Rahmen der heutigen „Energiewende“ der Rückschritt von konzentrierten Energieformen auf extensive Formen angestrebt wird. Der Preis für extensive Energiequellen ist massenhafte Naturvernichtung. Konzentrierte Energiequellen sind eine ökologische Notwendigkeit, will der Mensch in Frieden mit Natur und Artenvielfalt die nächsten Schritte in der Zivilisationsgeschichte beschreiten.

Denn mehrere technische Revolutionen stehen an, die allesamt durch zuverlässige und preisgünstige Energiequellen angetrieben werden[v]. Bereits heute ist das Internet einer der größten Energieverbraucher. Im Zuge der Digitalisierung, die eben erst begonnen hat, wird Künstliche Intelligenz in alle Lebensbereiche Einzug halten. Informationsverarbeitung wird auch die Medizin von einer kollektiven zu einer individuellen Disziplin machen, in denen das individuelle Genom bei der Diagnose und der Auswahl von Therapien eine wachsende Rolle spielen wird. Die Fortschritte in den Materialwissenschaften werden es erlauben, Materie auf der Skala von Nanometern zu manipulieren und damit sowohl neue Werkzeuge als auch neue Ästhetik erschaffen lassen. Und nicht zuletzt wird die Menschheit den Sprung zu anderen Planeten anstreben.

Der Irrglaube, dass der Energieverbrauch der Menschheit irgendwann zu einem Höhepunkt anlangt und dann zurückgeht, beruht wohl auf der Phantasielosigkeit gegenüber den künftigen technologischen Entwicklungen, die sämtlich alle durch preisgünstige und zuverlässige Energiequellen ermöglicht werden. Diese Technologien lassen sich mit Solar- und Windenergie nicht einführen, haben andererseits aber so viele Vorteile für Individuen, dass es immer Menschen geben wird, die sich an deren Umsetzung machen. Daher werden diejenigen Nationen, die die Suche nach konzentrierteren Energiequellen abblocken, immer weiter zurückfallen, während die Gewinner die sein werden, die diese Energiequellen nutzen. Wollen wir im Westen wirklich Vorbild für die aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens und Afrikas werden, sollten wir uns auf die Suche nach kompakten und skalierbaren Energiequellen machen und sie allen Volkswirtschaften zugänglich machen.

Kreislaufwirtschaft: Energie als Mittel gegen Unordnung

In der Physik ist die Energie der Gegenspieler der Unordnung, dort als Entropie bezeichnet. Dies ist auch ohne physikalische Grundkenntnisse leicht zu verstehen. Im Verlauf eines Tages- und Wochengangs wird mein Zimmer immer unaufgeräumter. Es bedarf meiner Energie, um die Ordnung wiederherzustellen und die herumliegenden Sachen an ihren Platz zurückzuräumen.

Nichts anderes geschieht in großem Maßstab. Beim Erzabbau wird das aus der Erde herausgebrochene Mineral zunächst nur geringe Konzentrationen des gewünschten Metalls enthalten. Erst durch Einsatz von Energie wird das Metall angereichert und dabei immer reiner. Reinheit bedeutet hier ja nichts anderes, als dass Spuren von anderen chemischen Stoffen nach und nach entfernt werden. Im ursprünglichen Erz waren viele chemische Stoffe enthalten, am Ende liegen diese sortiert vor und haben wegen der Zuführung der Energie für die Sortierung einen wesentlich höheren Nutzwert und Preis.

Tatsächlich ist das so nicht ganz richtig. In den meisten Bergbauarealen bleiben gewaltige Abraumhalden zurück, in denen alle Rohstoffe enthalten sind, die nicht unmittelbar benötigt wurden oder deren Herauslösung aus dem Gestein zu aufwändig und teuer ist. Mit verbesserten Verfahren könnten viel mehr dieser Rohstoffe aus dem „Abraum“ gewonnen werden. Noch besser wäre allerdings, erst gar nicht so viele Rohstoffe zu verbrauchen. Dies ist eine ernstzunehmende Option, die keine Einschnitte in die wirtschaftliche Entwicklung bedeuten muss. Voraussetzung hierfür ist die leichte Verfügbarkeit von preisgünstiger Energie. Mit dieser könnte sämtlicher Abfall so sortiert werden, dass die darin enthaltenen Wertstoffe vollständig wiederverwendet werden könnten.

Die Natur macht es uns vor. Sie kennt keine Abfälle, sondern alles, was ein Lebewesen hinterlässt, ist notwendiges Ausgangsprodukt für den nächsten Schritt im Lebenszyklus. Pflanzen produzieren Sauerstoff als Abfallprodukt der Photosynthese. Diesen atmen Tiere ein, einige verzehren die Pflanzen als Nahrung, ihre Ausscheidungen dienen nach der Aufbereitung durch Würmer, Insekten, Pilze und Bodenbakterien wiederum als Dünger für die Pflanzen. Von der Natur zu lernen, heißt auch in unserem Wirtschaften eine Kreislaufwirtschaft einzuführen, die keine Abfälle mehr kennt, sondern nur Reststoffe, die getrennt und wiederverwertet werden.

Die Verfahren zur Mülltrennung sollten automatisiert werden. Menschliche Arbeit in Müllsortieranlagen, in einer Umgebung voller Keime und schlechter Gerüche, kann dabei weitgehend vermieden werden, indem automatische Verfahren zur Erkennung verschiedenster Materialien eingesetzt werden. Beim Hausmüll sind die Verfahren mittlerweile so weit entwickelt, dass sie besser als die Trennung von Hand durch die Verbraucher funktioniert. So werden große Mengen Metalle und Kunststoffe sortenrein zurückgewonnen. Teuer sind diese Methoden nicht, es kommen industrieübliche Trocknungs-, Zerkleinerungs-, Mess- und Trennverfahren zum Einsatz. Sie ließen sich leicht einführen und würden den Verbraucher entlasten, da sämtlicher Müll in nur noch einer Tonne gesammelt werden müsste. Allerdings wehrt sich die deutsche Abfallwirtschaft dagegen, hat sie doch seit den 1990er-Jahren in moderne Müllverbrennungsanlagen investiert, deren technische Lebensdauer noch lange nicht erreicht ist. Die automatisierte Mülltrennung ist aber so vorteilhaft, dass sie sich früher oder später gegen das sehr zeit- und kostenintensive „Duale System Deutschland“ durchsetzen wird.

Was beim Hausmüll möglich ist, ist bei Baustoffen lange üblich. Dies ist in Deutschland der größte Rohstoffsektor, jährlich werden hiervon 650 Millionen Tonnen gewonnen. Nur etwa 100 Millionen Tonnen davon entfallen bislang auf Sekundärrohstoffe, vor allem wiederverwendete und aufbereitete Rohstoffe aus Bausubstanz und industrielle Reststoffe, die häufig als Bindemittel und Zusatzstoffe verwendet werden, wie Gips und Flugasche aus Steinkohlekraftwerken sowie Schlacken aus Müllverbrennungsanlagen und Hochöfen. Eine vollständigere Kreislaufwirtschaft bei Baustoffen einzuführen erfordert noch einige Forschungsarbeiten, ist aber wegen der etwas einfacheren Anforderungen an Materialeigenschaften durchaus umsetzbar. Voraussetzung hierfür ist die Bereitstellung preisgünstiger Energie.

Bei Metallen ist Recycling bereits heute gut möglich. Bei Edelmetallen lohnt gar die Rückgewinnung von zwei Gramm Gold je Tonne Elektroschrott. Die Metalle müssen dazu nur eingeschmolzen werden und können dann mit physikalischen und chemischen Trennverfahren wiedergewonnen werden. Stahl ist das weltweit am meiste recycelte Material, es unterliegt bereits heute nahezu vollständig einer Kreislaufwirtschaft.

Langfristiges Ziel ist, Mülldeponien abschaffen zu können, weil sämtliche Reststoffe andernorts wieder eingesetzt werden. Hierzu sind Produktionsprozesse bei der Herstellung von Produkten so zu planen, dass alle Komponenten nach Ende der technischen Lebensdauer wiederverwendet oder einer stofflichen Verwertung zugeführt werden können. Deutschland ist hierin Vorreiter. Zusätzlich muss auch bei Produktverpackungen darüber nachgedacht werden, dass diese über den Hausmüll entsorgt und dann wiederverwendet werden können. Auch hierin hat Deutschland einige Expertise aufgebaut.

Die Kosten für das deutsche „Duale System“ der Wiederverwendung von Reststoffen sind mit die höchsten weltweit. Das System ist ineffizient und sollte grundlegend reformiert werden. Mit preisgünstiger Energie wird es finanzierbar sein, die menschliche Kreislaufwirtschaft zu vervollkommnen.

Frei verfügbare Energiequellen als Mittel zur Friedenssicherung

Viele bewaffnete Konflikte der Vergangenheit dienten dazu, einer Wirtschaftsmacht den Zugang zu Rohstoffen zu sichern, gerade zum Öl. Die ums Öl geführten Kriege zeigen, wie wichtig eine stabile Energieversorgung für jedes Land ist. Wer die Energie kontrolliert, kontrolliert auch sämtliche wirtschaftliche Abläufe und militärische Machtmittel. Wenn es aber eine alternative Energiequelle gäbe für Öl, die es unnötig macht, Kriege um sie zu führen, wie müsste sie aussehen?

Die Antwort ist einfach, sie müsste quasi überall vorhanden sein, sodass sich jeder selbst mit ihr versorgen kann. Dies war in der Tat einer der wichtigen Motive für die „Energiewende“, denn in der Tat kann überall auf der Welt – in unterschiedlicher Qualität – Solar- und Windenergie geerntet werden. Doch werden wir mit Solar- und Windenergie unabhängiger von Rohstoffimporten? Zum einen werden für Windkraftanlagen, Batterien und viele andere Komponenten der „Energiewende“ seltene Minerale benötigt, die nur in wenigen Ländern gefördert werden und um die ein Wettlauf entbrannt ist. Lithium, Kobalt, Coltan und Neodym sind, übertragen gesprochen, das Rohöl der Energiewende, und sie stammen aus nur wenigen Lagerstätten. Zum anderen kann kein europäisches Land genügend Solar- und Windenergie für alle Anwendungen ernten, sondern der Ausbau dieser Energieformen in begünstigten Regionen der Erde, die Herstellung von chemischen Energieträger mit der dort produzierten elektrischen Energie ist eine notwendige Folge einer Energiewende. Auch um diese Ressourcen – beispielsweise Patagonien für Windenergie oder die Sahara für Solarenergie – könnten in Zukunft gestritten werden, sollte Energie knapp werden.

Es gibt, wie wir in Abschnitt 7.5 gesehen haben, eine Energiequelle, die fast überall auf der Welt verfügbar ist, und die die Menschheit noch für viele Millionen Jahre mit Energie versorgen kann. Die Vorräte Uran, Thorium und Deuterium sind unerschöpflich. Mit ihnen wäre die Energiefrage kein Kampf um knappe Ressourcen mehr, sondern ein für alle Mal gelöst. Es entfiele ein wichtiges Motiv, um neue Kriege anzuzetteln, und mit konzentrierter, leicht verfügbarer Energie, umweltschonenden Bergbaumethoden sowie einer Kreislaufwirtschaft im globalen Maßstab wäre auch die Versorgung mit Rohstoffen nicht mehr so problematisch wie heute. Preisgünstige, breit verfügbare Energie ist ein Friedensprojekt.

Der Ökologische Realismus als gedankliches Gegenmodell zur „Energiewende“

Wir haben gezeigt, dass die Energiewende, konsequent zu Ende gedacht, den Markt aushebelt und es dadurch notwendig macht, andere Mechanismen aufzubauen, wie Energie denjenigen, die sie benötigen, zugewiesen wird. Wenn der Markt nicht entscheidet, wem ein Gut zugewiesen wird, wird eine staatliche Instanz dies gerne übernehmen. Darauf zielt auch die „Große Transformation“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltfragen (WGBU) ab, auf die Zuteilung von CO2-Budgets an jeden Einzelnen und auf die staatliche Überwachung über deren Einhaltung.

Es ist vielleicht kein Zufall, dass die „Energiewende“ stärker im linken politischen Lager Anhänger hat. Wie sieht dies nun im Ökologischen Realismus aus? Prinzipiell ist er „anschlussfähig“ in viele Richtungen. Da das langfristig gute Zusammenwirken des Menschen mit der Natur im Vordergrund steht, spricht er alle umweltbewussten Kräfte an. Mit der Betonung des Realismus in der Betrachtung von Wirkzusammenhängen schließt er die Lücke, die durch die „Energiewende“ bei naturwissenschaftlich-technisch Denkenden entstanden ist.

Der zentrale Unterschied zwischen Ökologischem Realismus gegenüber der „Energiewende“ ist, dass er vereinbar ist mit einer liberalen, freiheitlich-demokratisch verfassten Gesellschaft. Er kommt mit sehr wenig Staat aus. Er orientiert sich an bestehenden volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten. Er erfordert nur wenig Forschung und Entwicklung in Bereichen, die im Gegensatz zu Stromspeichern bereits beherrscht werden. Er erreicht seine Ziele Konzentration und Kreislaufwirtschaft auf Basis von wirtschaftlicher Motivation. Er gängelt die Bürger nicht, sondern kommt mit einem gemeinsamen Wert aus: Alles dafür zu tun, dass die Artenvielfalt bestmöglich geschützt wird.

In diesem Sinne kann der Ökologische Realismus zum Leitbild für die ökologisch, freiheitlich und liberal gesinnten Bürger und Politiker in unserem Land werden.


[i]Daher sprechen wir hier auch nicht von ‚fossilen‘, sondern von ‚chemischen‘ Energieträgern. Solange Erdgas viel schneller abgepumpt wird als aus der Tiefe nachströmt, hilft uns diese Erkenntnis aber nicht weiter. Ein sparsamer Umgang mit dem Rohstoff ist geboten.

[ii]Wasserstoff wird auch langfristig ein Nischendasein als Energieträger fristen, vgl. Abschn.

[iii]Der Autor engagiert sich seit 2021 bei Dual Fluid Energy als Mitgründer und Chief Financial Officer.

[iv]Zahlen hier und in diesem Abschnitt: IEA, Energy Statistics, für 2016

[v]Michio Kaku, Die Physik der Zukunft – Unser Leben in 100 Jahren, Rowohlt, 2011. Das Buch handelt von den Technologien, die absehbar im 21. Jahrhundert eingeführt werden, ist eine sehr empfehlenswerte Lektüre und erfordert keine technischen oder naturwissenschaftlichen Vorkenntnisse.

[vi]Der World Overshoot Day – robuste Missverständnisse, Kolumne Nr. 59 von "Die Energiefrage"

25. April 2019

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