Matthias Matussek

Pater Brown und die Subsidiarität

Von Gilbert K. Chesterton gibt es eine wundervolle Geschichte über Subsidiarität, es ist eine umwerfende Gaunergeschichte. Man kennt Gilbert K. Chesterton als Erfinder der Krimis um "Father Brown". Daneben war er, nach den Worten von Ernst Bloch, einer "der klügsten Männer des Jahrhunderts". Journalist, Künstler, Konvertit zum Katholizismus 1921. Papst Pius XI ernannte ihn zum "defendor fidei", dem Verteidiger des Glaubens. Seine Waffe: der Witz. Das Paradox. Bisweilen eine zur Brezel gelegte dialektische Figur.

In seinen vier Geschichte von "verehrungswürdigen Verbrechern" gibt es eine, die vom "ekstatischen Dieb" erzählt. Der, ein Spross aus gutsituiertem Haus eines Keksfabrikanten, der sich nach oben gearbeitet hat, kehrt nach einem langen Auslandsaufenthalt zurück, heimlich, wie ein Dieb in der Nacht. Einst war er vom Vater verstoßen worden, weil er sich über dessen rücksichtslos erworbenen Reichtum ereifert und geschämt hat.

Er bricht in das Haus seines Vaters, seiner Familie ein. Öffnet den Safe...und hinterlegt dort eine Brosche, die er aus einem anderen Safe gestohlen hat. Desweiteren macht er die Straßen unsicher. Er wird ertappt, wie er die Hand in die Hosentasche fremder Menschen steckt, doch nicht als Taschendieb, sondern als Spender: er entnimmt kein Geld, sondern steckte welches hinein.

Er hilft mit seinen Verbrechen. Er verhilft den Reichen zur Einsicht und den armseligen Taschendieben und Schluckern zu Geld. Er verteilt den Reichtum mit der unausgesprochenen Forderung, vernünftiger und moralischer mit dem Kapital umzugehen.

In dieser Geschichte versteckt Chesterton seine Überzeugungen zu einem Wirtschaftssystem, das einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus sucht. Er nennt ihn Distributismus. Mittlerweile ist wohl allen bewusst, dass die Form des Finanzkapitalismus, wie wir sie erleben, zu hemmungsloser Ressourcenausbeutung führt, sowie zu einer geradezu grotesken sozialen Ungerechtigkeit: obszöner Reichtum für 1 Prozent der Wohlhabenden und Armut auf der anderen Seite. Der Distrubitismus wurzelt in einer romantischen und katholischen Idee, die um die Jahrhundertwende von Chesterton entwickelt wurde: kleine Wirtschafteinheiten sollen die Familien in Stand setzen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

"Anstatt uns zu fragen, was wir mit den Armen machen sollen, sollten wir uns lieber fragen, was die Armen mit uns machen werden", schrieb er sarkastisch. Denn, so fuhr er fort: "Das Problem des Kapitalismus ist nicht, dass es zu viele, sondern dass es zu wenige Kapitalisten gibt." Nach einer ersten Anschubfinanzierung hält sich der Staat zurück und greift nur dort stützend ein, wo es schief läuft. Auf der anderen Seite sollen große Monopole verhindert werden, die die Preise diktieren können. Das Ziel ist: gerechte Verteilung und Nachhaltigkeit.

Heute werden wir über diese Art des Wirtschaftens lächeln, und wenn wir uns an die mittelalterliche Wirtschaft erinnert fühlen, kommt das nicht von ungefähr: Chesterton war ein Schwärmer für das fromme Mittelalter, das er weitgehend unfair dargestellt sah.

Als herausfordernde Denkfigur jedoch ist der Distributismus noch überhaupt nicht aus der Welt. In Houellebeqcs Roman "Unterwerfung" ist der künftige Präsident eines islamischen französischen Staates, Mohammed Ben Abbes, neben anderem ein überzeugter Distributist: Verteilung der Produktionsmittel auf viele Familien. In den Entwicklungsländern Afrikas wird diese Form von Hilfe zur Selbsthilfe von den reichen Geberländern durchaus angestrebt. Statt Fische zu verkaufen sollte man besser Angeln verteilen.

Nun geht der weltökonomische Trend, den wir Globalisierung nennen, allerdings in die genau gegensätzliche Richtung: Supranationale Konzerne beliefern supranationale Märkte und entziehen sich dadurch weitgehend den nationalen Kontrollen, sowohl den fiskalischen wie den kartellrechtlichen. Was tun?

In Deutschland wurde nach dem Krieg das System der sozialen Marktwirtschaft etabliert, in dem die Arbeitgeber in einer "konzertierten Aktion" gemeinsam mit den Gewerkschaften unter Obhut des Staates für Verteilungsgerechtigkeit sorgen. Zunehmend aber greift der Staat direkt ein. Beispiel Energie-Wirtschaft: Einsam die Entscheidung der Bundeskanzlerin, die Kernkraftwerke stillzulegen. Und jüngst legte sie nach, gemeinsam mit Koalitionspartner und Oppositionsparteien: Der Umwelt zuliebe, Stichwort: Klimakatastrophe, erging die Direktive an die Automobilkonzerne, bis 2030 die Verbrennungsmotoren abzuschaffen und auf Elektroautos zu setzen.

Gleichzeitig ist durch die Agenda 2010 ein großer Billiglohnsektor entstanden; zwar wurde die Wirtschaft angekurbelt, aber vielen ist kaum mehr als das Existenzminimum geblieben. Dass die Kanzlerin dazu, in einsamer Entscheidung, die Grenzen für mittlerweile gut eine Million islamischer Männer geöffnet hat, die weder kulturell noch politisch verkraftbar sind, kommt erschwerend hinzu. Für die deutschen Beitragszahler droht mit dem Verfall des Rentensystems die Altersarmut.

Der Staat versagt also in beide Richtungen. Er gängelt Unternehmer und nimmt wenig Rücksicht auf Arbeitnehmer, die soziale Marktwirtschaft steht unter politischem Vorbehalt, mit den absurdesten Verzerrungen.

Berechnungen von Umweltexperten zufolge sorgen eine Million Elektroautos auf den Straßen bis 2020 einst als politisches Ziel der Kanzlerin ausgegeben gerade mal für eine Schadstoff-Verbesserung von 0,5 Prozent. Die ganz große Umweltbelastung geht von Kohlekraftwerken aus, die allerdings nötig sind, um den Ausfall der Atomkraft zu kompensieren.

Aus dem Staat als Nachtwächter, der minimal eingreift, ist der Staat als übereifrige Nanny geworden, die ständig herumrennt und neue Verordnungen entsinnt.

Chestertons Distributismus mag eine romantische Idee von einem Volk von freien und ungehinderten Kleinunternehmern sein. Also eine Idee von vorgestern. Unter den Bedingungen der zunehmenden Digitalisierung jedoch, die eine Dezentralisierung der Produktionsmittel zufolge haben könnte Intelligenz und Kreativität sind individuell - könnte Chestertons Idee eine von morgen sein.

16. Mai 2019

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