Dr. Björn Peters

Staatliche Ausgaben zur Förderung der Kerntechnik und wie man Mythen macht

Die Energiefrage - #17

In der letzten Kolumne haben wir an dieser Stelle über neue und alte Mythen in der Energiepolitik berichtet. Offensichtlich ist der Autor selbst einem Mythos aufgesessen: dem von der "exorbitant hohen" Subventionierung der Kernenergie. Ein paar freundliche Hinweise von kompetenten Lesern, die ihr Berufsleben in der Kernenergie verbracht haben, zwingen zu einer Korrektur des Gesagten. Erstens dient dies einer attraktiven Debattenkultur, zweitens lernt der Kolumnist gerne jeden Tag hinzu und möchte die Leser gerne zu kenntnisreichen Rückmeldungen ermuntern (per eMail an bp@DeutscherArbeitgeberVerband.de), drittens fühlen wir uns hier der Faktentreue verpflichtet und viertens ergibt sich daraus wieder eine spannende Geschichte, die erzählt werden will.

Zunächst die veröffentlichten Daten. In der energiepolitischen Debatte bekam eine Greenpeace-Studie aus dem Jahr 2010, die beim Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) in Auftrag gegeben wurde, besondere Aufmerksamkeit. Danach wurde der Wert der staatlichen Förderung für die Kernenergie im Zeitraum 1950-2010 mit nominal ca. 150 Mrd. Euro angegeben, preisbereinigt wurden daraus ca. 203 Mrd. Euro errechnet (1). Diese Zahl wurde vielfach in der Presse wiederholt und hat sich in viele Köpfe eingegraben.

Viel geringer bezifferten Autoren vom Verein VGB PowerTech die Forschungsförderung Kernenergie im gleichen Zeitraum, nämlich auf nominal 17,2 Mrd. Euro (2) . Hierin enthalten sind ca. 7,8 Mrd. Euro für Leichtwasserreaktoren und 9,4 Mrd. Euro für Grundlagenforschung an anderen Kernenergie-Technologien, die wenig, gar nicht oder noch nicht zum Einsatz kamen, also für den Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop, den Schnellen Brüter in Kalkar und die verschiedenen Kernfusionsexperimente. Mit einiger Berechtigung weist die VGB PowerTech darauf hin, dass nur die staatlichen Forschungsausgaben an der Technologie, die tatsächlich von der Privatwirtschaft eingesetzt wurde den Leichtwasserreaktoren auch berücksichtigt werden sollten. Gerade am Beispiel Kernfusion wird klar, dass es sich bei den Kosten hierfür um reine Grundlagenforschung handelt, die kommerzielle Nutzung aber immer noch Jahrzehnte auf sich warten lässt.

Interessant ist aber auch, die Subventionshöhe, wie hoch sie auch immer ausfällt, ins Verhältnis zu setzen zur insgesamt produzierten Strommenge im gleichen Zeitraum. Nach Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) wurden die ersten Strommengen aus Kernenergie in Deutschland im Jahr 1961 produziert. Kumuliert über den Zeitraum von 1960 bis 2010, also dem Bezugsrahmen beider Studien, wurden 4.666 Terawattstunden aus Kernenergie produziert, also ca. 4,7 Billionen Kilowattstunden und damit etwa 20% der in dem Zeitraum insgesamt erzeugten elektrischen Energie von ca. 22,8 Billionen Kilowattstunden. Rechnet man nun 203 Mrd. Euro auf 4,7 Bio. Kilowattstunden, ergibt sich ein Wert von etwas über 4,36 Eurocent je Kilowattstunde, die vom FÖS als staatliche Förderungen für die Kernenergie bezeichnet werden, mithin etwa ein Drittel der Förderung für sog. erneuerbare' Energien. Wenn man der VGB PowerTech folgt und nur die staatlichen Ausgaben für Leichtwasserreaktoren (7,8 Mrd. Euro) in Bezug zur Gesamtproduktionsmenge setzt, kommt man auf einen verschwindend kleinen Betrag von unter 0,17 Eurocent je Kilowattstunde.

Woraus resultieren nun die gewaltigen Diskrepanzen zwischen beiden Studien? Während die VGB PowerTech nur direkte Finanzhilfen in die staatlichen Förderungen hineinrechnet, zählt das FÖS auch Steuervergünstigungen, nicht externalisierte Kosten des Energieverbrauchs und Regelungen mit Subventionscharakter hinzu. Dies steht in klarem Widerspruch zu international gebräuchlichen Definitionen, dass staatliche Förderungen im Energiesektor solche sind, die (1.) die Energieproduktion verbilligen, (2.) die Produzentenpreise über ein Marktniveau anheben oder (3.) die Konsumentenpreise verringern. Inwieweit die stark erweiterte Definition des FÖS sinnvoll ist, möge an den folgenden Beispielen erläutert sein. In absteigender Größenordnung fallen folgende Diskrepanzen zwischen den beiden Ansätzen auf:

Fassen wir zusammen: Die VGB PowerTech hat einen sehr engen Förderbegriff verwendet, um die staatlichen Förderungen für die Kernenergie seit Beginn der Bundesrepublik nominal auf einen kleinen zweistelligen Milliardenbetrag zu beziffern. Es erscheint sinnvoll, der besseren Vergleichbarkeit wegen die nominalen Kosten in inflationsbereinigte Kosten umzurechnen. Auch sollten staatliche Ausgaben wie etwa Mitgliedsbeiträge zur IAOA und zu Euratom hinzugerechnet werden, die ohne den deutschen Einstieg in die Kernenergie nicht notwendig wären. Sodann gibt es ein paar Ausgaben, die man der staatlichen Kernenergieförderung zuordnen kann: für den Rückbau der ostdeutschen Kernkraftwerke, die Sanierung des Uran-Tagebaugebiets und in weiterem Sinne auch für den Schutz der Castor-Transporte vor gewalttätigen Demonstranten. Der Gesamtbetrag der staatlichen Förderungen bleibt aber auch damit deutlich unter 35 Milliarden Euro nominal, nach Inflationsanpassung auf heutige Geldwerte wird nur eine Größenordnung von unter 50 Milliarden Euro erreicht.

Die fair ermittelte Förderhöhe liegt also bei einem Eurocent je Kilowattstunde. Dies ist im Vergleich zu Technologien aus dem Bereich der erneuerbaren' Energien vernachlässigbar. Spannend ist bei der Geschichte, dass es Politiker, Journalisten, PR-Agenturen, Spendensammelorganisationen und interessierte Lobbyisten geschafft haben, der Öffentlichkeit unseriös ermittelte Phantasiezahlen der Höhe der staatlichen Förderungen für die Kernenergie so erfolgreich zu vermitteln, dass sie regelrecht Gemeingut geworden sind. Alternative Fakten wurden offensichtlich schon viel früher in die energiepolitischen Debatten eingebracht. Höchste Zeit, wieder zur Faktentreue zurückzukehren.

(1) Staatliche Förderungen der Atomenergie im Zeitraum 1950-2010, FÖS-Studie (Oktober 2010).

(2) Michael Weis, Katrin van Bevern, Thomas Linnemann, Forschungsförderung Kernenergie 1956 bis 2010: Anschubfinanzierung oder Subvention?, atw 56. Jg. (2011) Heft 8/9, S. 466-468

(3) Nach Aussage der EU-Kommission (2001) sind Rückstellungen der Atomindustrie keine Beihilfe im Sinne des Art. 87 EGV, da sie durch eine allgemeine, für alle Unternehmen gültige Regelung begründet ist und damit keine selektive Begünstigung der Atomindustrie vorliegt.

Ein Hinweis in eigener Sache: Im Zuge der Ausweitung seines Tätigkeitsfelds hat der Autor sein Unternehmen umfirmiert in Peters Coll. und einen neuen Web-Auftritt unter peterscoll.de eingerichtet. Die alte Webseite wurde abgeschaltet.

24. April 2017

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